Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
es zu spüren und hat Erbarmen. »Fünf Meter sechzig dort unter den Brettern«, sagt er mit gleichgültiger Miene.
»Wow.«
»Bist du schon mal getaucht?«
»Nein.«
Sein Blick dringt tief in ihre Augen, verfängt sich dort wie eine Dornenranke. Es tut fast weh. Aber sie wagt nicht, einfach wegzuschauen. »Ich könnte es dir zeigen.«
Sie schluckt und versucht verzweifelt, die Panik niederzukämpfen, die in ihr aufzusteigen droht.
Denk an die Sonne auf deinen Schultern. Denk daran, dass du gerade mit diesem irrsinnig gutaussehenden Jungen in diesem irrsinnig gepflegten Garten stehst, umgeben von Grillduft, Wärme, Gleichaltrigen …
»Verrätst du mir, warum?«
»Was?«
»Warum willst du nicht lernen, wie man taucht?«
»Es … tut mir leid, aber …«
Plötzlich fühlt sie etwas in ihrem Rücken. Seine Augen gleiten weg. Ganz kurz nur, aber es genügt, um zu wissen, dass dort jemand steht. Jemand, der ihm wichtig ist. Sie will sich umdrehen, aber noch immer gibt sein Blick sie nicht frei. Diese tiefen braunen Augen, die bei aller Wärme der Farbe so eigenartig unbeteiligt wirken.
»Was?«, fragt er, so ruhig und souverän wie immer.
»Bitte?«
»Was tut dir leid?«
»Ich …« Sie fühlt Scham. Aber sie spürt auch, dass nur die Wahrheit sie jetzt noch retten kann. »Ich würde sehr gerne lernen, wie man taucht. Ehrlich. Aber …«
»Ja?«
»Es gibt da ein Problem.«
»Welches?«
Ihre Augen suchen in den Tiefen der seinen nach Verständnis. Aber sie werden nicht fündig. Trotzdem sagt sie: »Ich kann nicht schwimmen.«
Samstag, 13 . Dezember
1
Winnie Heller fluchte, als sie einhändig den Deckel von ihrem Pappbecher riss. Da hatte ihr diese blöde Kuh am Drive-in-Schalter doch tatsächlich Kakao zu ihrem Frühstück gepackt statt Kaffee!
»Was, zum Teufel, soll ich mit Serotonin?«, murrte sie, während sie ihren Ärger ungeniert an der Hupe und ihrer Vorderfrau ausließ, die jetzt schon mindestens fünf Minuten hinter diesem bescheuerten Bus hergurkte, obwohl sie ihn bereits zweihundertneunundneunzig Mal bequem hätte überholen können. »Ich brauche Kaffee. Und wenn es schon zu schwer ist, sich eine aus lächerlichen drei Komponenten bestehende Bestellung zu merken, sollte man vielleicht nicht ausgerechnet die Frühschicht übernehmen, wo ausgehungerte Menschen auf dem Weg zur Arbeit darauf vertrauen, dass sie …« Sie unterbrach ihre Tirade und trat auf die Bremse, als der Fiat Panda vor ihr unvermittelt abstoppte. »Mein Gott, Mädel, dann bleib doch einfach zu Hause, wenn dir der Verkehr so viel Angst macht!«
Das »Mädel« jedoch schien sich durch ihr permanentes Gehupe irritiert zu fühlen, denn es hatte zwar endlich den Blinker gesetzt, dachte jedoch nach wie vor nicht daran, den Linienbus mit der Nummer 104 zu überholen.
»Worauf wartest du? Dass endlich mal Gegenverkehr kommt, damit sich die Sache auch richtig lohnt? Macht dir das Überholen ohne ein bisschen Nervenkitzel etwa keinen Spaß, oder was ist los?« Sie seufzte und versuchte es zur Abwechslung mal mit der Lichthupe. Doch das Einzige, was sie erreichte, war, dass der Fiat aufhörte zu blinken.
Winnie warf einen entnervten Blick auf die Uhr. Sie war verdammt spät dran, und das, obwohl der Wecker seit Viertel nach fünf alle paar Minuten ein nervtötendes Wecksignal von sich gegeben hatte. Aber wer konnte denn ahnen, dass das Ding irgendwann einfach aufgab?! Winnie riss sich die rote Mütze vom Kopf, die ihre ungewaschenen Haare kaschieren sollte, und lutschte die Erdbeermarmelade vom Zeigefinger. Gott, war das warm in dieser Karre!
»He, Blondie! Schläfst du?«
Und noch mal die Lichthupe.
»Komm schon, Baby, hab Erbarmen und fahr!«
Winnie reckte den Hals und sah, dass der Linienbus die nächste Haltestelle erreichte, ohne auch nur einen Millimeter nach rechts auszuweichen.
»Ich bezahle Jahr für Jahr Unmengen an Steuern, und für jeden Mist haben die hohen Herren im Ministerium Geld. Bloß für so ’ne gottverdammte Haltebucht reicht es nicht.« Sie hielt hinter dem Fiat und beobachtete, dass ihre Vorderfrau die unfreiwillige Wartezeit dazu nutzte, ihr Make-up einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. »Na super, Mädel. Mach dich nur schön. Ich gehe jede Wette ein, dass du sowieso nirgendwo hinmusst, weil du irgend so einen stinkreichen Kulturtypen an der Angel hast, der …« Winnie spähte an dem Fiat vorbei und entdeckte nun auch endlich die ersehnte Lücke im Gegenverkehr. Ziemlich knapp,
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