Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
hatte.
»War Ackermann unter den Kollegen beliebt?«
Die junge Nonne überlegte. »Nicht unbedingt.«
»Und bei den Patienten?«
»Er war ziemlich distanziert, soweit ich mich erinnere.« Sie blickte auf ihre Hände hinunter, die erstaunlich gelöst auf der Tischplatte lagen. »Und die Leute spüren so was. Ob jemand Anteil nimmt, meine ich. Oder ob er einfach nur seinen Job tut.«
Womit wir denn wieder an diesem Punkt wären, dachte Winnie Heller, während für einen kurzen Augenblick Amanda Kerrs Gesicht vor ihr aufblitzte. »Wie passt das zu der Behauptung, er habe aus Mitleid gehandelt?«
Ines Heider sah hoch. Ihre Augen waren von einem sehr hellen, beinahe durchsichtigen Blau. Trotzdem wirkten sie nicht kalt. Eher … Ja, dachte Winnie, eher entrückt. Ein Blick, wie er durchaus zu einer religiösen Fanatikerin passen würde. Doch aus irgendeinem Grund bezweifelte sie, dass sie eine solche vor sich hatte.
»Soweit ich weiß, hat Ackermann nie behauptet, aus Mitleid gehandelt zu haben«, widersprach Ines Heider.
»Richtig«, stimmte Winnie ihr zu. »Er hat behauptet, unschuldig zu sein.«
»Ja, genau.«
Sie suchte den blassblauen Blick einzufangen. »Haben Sie ihm das geglaubt?«
»Ist das wichtig?«
Winnie verzichtete ganz bewusst auf eine Antwort, weil sie das Gefühl hatte, auf diese Weise mehr erreichen zu können.
»Nein«, Ines Heider seufzte, »ich habe ihm nicht geglaubt.«
»Das heißt, Sie hielten ihn für schuldig?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
Aber genau das ist deine Meinung, dachte Winnie. Sie sah zu Verhoeven, der die ganze Zeit über aufmerksam zuhörte, aber keinerlei Anstalten machte, sich in das Gespräch einzuschalten.
»Darf ich fragen, was Sie dazu bewogen hat, einem Orden beizutreten?«, wandte sie sich wieder an ihr Gegenüber.
Die Antwort, die Ines Heider gab, klang wie auswendig gelernt. »Ich denke, ich wollte ihm etwas zurückgeben.«
»Wem?«
»Meinem Schöpfer.«
Na super, dachte Winnie. »Sie sind also der Meinung, dass Sie ihm etwas zu verdanken haben?«
Die blassblauen Augen trafen ihr Gesicht. »Haben wir das nicht alle?«
Winnie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die so elektrisch waren, dass sie unter der Berührung knisterten. »Also, nichts für ungut, aber ich für meinen Teil denke, dass der liebe Gott hier und da durchaus etwas sanfter mit mir hätte umgehen können«, erklärte sie, und sie registrierte, dass Verhoeven neben ihr interessiert aufblickte.
»Vielleicht ist es noch zu früh für Sie, Bilanz zu ziehen«, entgegnete Ines Heider, die offenbar Gefallen an dem Thema gefunden hatte. »Möglicherweise ist noch gar nicht abzusehen, was er mit Ihnen vorhat.«
»Na toll, ich kann’s kaum erwarten«, konterte Winnie bissig, eine Bemerkung, die ihr ein erneutes Aufhorchen ihres Vorgesetzten und einen nachsichtigen Blick von Ines Heider eintrug.
»Ich war mal ganz genauso«, erklärte sie.
»Wie?«, fragte Winnie.
»Immer ungeduldig, nie zufrieden …«
»Und dann kam der liebe Herrgott und machte alles wieder gut?« Winnie Heller stieß ein bitteres Lachen aus. »Meinen herzlichsten Glückwunsch! Aber kommen wir zur Sache …«
Sie schien amüsiert zu sein. Ob über Winnies Naivität oder die Tatsache, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte, blieb ihr Geheimnis. »Ja?«
»Wir hätten gern mehr über die drei Patienten gewusst, die damals ermordet wurden.«
»Ich war nicht da, als Herr Mang starb«, erklärte Ines Heider, anscheinend ohne jeden Zusammenhang.
»Stimmt, Sie waren in einem Krankenhaus.«
In ihre Augen, die je nach Lichteinfall beinahe transparent wirkten, stahl sich ein Hauch von Vorsicht. »Meine Schwester hatte einen Unfall in dieser Nacht.«
Und das war deine Rettung, dachte Winnie. Doch darauf wollte sie zumindest im Augenblick noch nicht eingehen. »Es geht uns weniger um die Umstände dieses oder jenes Todes«, log sie stattdessen, ohne mit der Wimper zu zucken, »als vielmehr um den Charakter der drei Männer, die getötet wurden. Was sie für Persönlichkeiten waren. Wer sie besuchte. Solche Dinge.«
Zu ihrem Erstaunen entspannte sich Ines Heider bei dieser Ankündigung wieder ein wenig.
»Beginnen wir mit Herrn Rogolny. Mochten Sie ihn?«
»Ich war schon immer der Ansicht, dass es mir nicht zusteht, einen Patienten zu mögen oder nicht.«
Mit anderen Worten, du konntest ihn nicht leiden, schloss Winnie Heller. »Ist Ihnen bekannt, was Herr Rogolny früher gemacht hat? Als junger Mann?«
»Sie
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