Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
meinen, dass er ein Nazi war?« Ines Heider verzog die Lippen. »Sicher, das war ja kaum zu übersehen.« Sie bemerkte Winnie Hellers fragenden Blick und ließ sich widerstrebend zu weiteren Erklärungen herab. »Er hatte so ein Blechding, das er dauernd trug, wissen Sie. Eine Art Krawattennadel. Die bestand aus vier goldenen Pferdeköpfen, bloß waren die so angeordnet, dass die Winkel ein Hakenkreuz ergaben.« Sie schüttelte den Kopf, und Winnie Heller dachte, dass sie außergewöhnlich intelligent war. »Herr Rogolny behauptete immer, Edda Göring trage auch so ein Ding. Außerdem hat mir irgendwer mal erzählt, dass er an einem Massaker beteiligt war.«
»Wer hat das gesagt?«, fragte Verhoeven.
»Ich weiß nicht mehr, ich glaube, einer von den anderen.«
»Sie meinen, die anderen Patienten?«
Ines Heider sah ihn an, als verstehe sie nicht, was er überhaupt von ihr wolle. Doch dann nickte sie. Kaum merklich zwar, aber sie nickte.
»Und wie ging es Herrn Rogolny zum Zeitpunkt seines Todes?«, fragte Winnie Heller. »War er körperlich noch fit?«
»Doch ja, eigentlich schon.«
»Ganz im Gegensatz zu Olaf Madsen, nicht wahr?«
Die Miene ihrer Gesprächspartnerin verdüsterte sich um einige Nuancen. »Den fand ich immer irgendwie unheimlich.«
»Wieso?«
»Er schrieb den ganzen Tag irgendwelche Zahlen auf Blätter. Selbst als es ihm schon richtig dreckig ging. Keine Ahnung, ob das eine Spinnerei war oder Hand und Fuß hatte. Ich habe natürlich gesehen, was er schrieb, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich da nie so recht durchgeblickt.«
Winnie nickte und sah zum Fenster. Kein Zweifel, Pflege kräfte bekamen eine Menge mit. Wer wann zu Besuch kam. Was eine Bedeutung hatte. Und was vollkommen unwichtig war, auch wenn es vielleicht nach außen hin anders wirkte.
Neben ihr rutschte Verhoeven unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Ist Ihnen bekannt, dass Herr Madsen wohlhabend war?«
»Ich habe davon gehört, ja. Allerdings erst im Prozess.« Ines Heiders Augen verrieten einen Hauch von Verachtung. Ob diese Verachtung sich gegen Olaf Madsen im Besonderen oder Reichtum im Allgemeinen richtete, blieb ihr Geheimnis. »Aber wenn man’s genau nimmt, waren doch alle, die in St. Hildegard wohnten, ziemlich betucht.«
Womit wir bei der nicht ganz uninteressanten Frage wären, wie ein pensionierter und zweifach geschiedener Exbulle in die Reihe dieser illustren Patienten passt, dachte Winnie Heller, der dieser Widerspruch zum ersten Mal so richtig bewusst wurde. »Was ist mit Boris Mang?«, fragte sie so beiläufig wie möglich, doch Verhoeven schien trotzdem sofort zu verstehen, wieso sie ausgerechnet in diesem Zusammenhang auf den ehemaligen Polizisten zu sprechen kam. Sie sah die Missbilligung in seinem Blick und dachte, dass er sie vermutlich für eine Nestbeschmutzerin hielt. Etwas, das sie augenblicklich wütend machte.
Ines Heider hingegen lächelte ihr spärliches Lächeln. »Herr Mang? Ach, der war harmlos. Immer freundlich. Immer nett. Auch wenn man natürlich ein Auge auf ihn haben musste.«
»Sie meinen, wegen seiner Krankheit?«
Nicken. »Die meisten Menschen, die an Alzheimer leiden, sind schrecklich rastlos. Und das traf auch auf Herrn Mang zu. Er wanderte ständig herum. Im Haus. Im Park. Überall.« Ines Heider zuckte die Achseln. »Außerdem redete er von morgens bis abends, was vielen seiner Mitpatienten gehörig auf die Nerven ging.«
»Und über was sprach er?«, fragte Winnie Heller, bemüht, ihr Gegenüber ihre Neugier nicht sehen zu lassen.
»Übers Spielen hauptsächlich«, antwortete Ines Heider. »Er war ein absolut begeisterter Spieler. Karten, Schach, Backgammon, was Sie wollen. Ach ja, und über seinen Beruf sprach er auch ziemlich viel. Über Leute, mit denen er früher zu tun hatte, keine Ahnung, ob das Phantasie war oder real.«
Die Antwort gefiel Verhoeven nicht, das konnte Winnie Heller beinahe körperlich spüren.
Seltsamerweise schien auch Ines Heider plötzlich unsicher zu werden. »Natürlich weiß ich nicht, ob es wirklich mit seiner Arbeit zu tun hatte«, fügte sie einschränkend hinzu. »Es klang nur irgendwie nicht nach Familie.«
»Das bringt uns ein ganzes Stück weiter«, bemerkte Verhoeven mit beißender Ironie.
»Solche Dinge sind schwer zu beurteilen, wenn man nicht über das nötige Hintergrundwissen verfügt«, verteidigte sich Ines Heider. »Außerdem war offensichtlich, dass sich da das eine oder andere verwischt hat.«
»Hat man denn in einem Job
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