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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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wie dem Ihren überhaupt Zeit, dem Gerede eines verwirrten alten Mannes zuzuhören?«, gab Verhoeven zurück.
    »Nein, hat man nicht«, versetzte die Nonne, deren Wangen mit einem Mal flammend rot waren. »Aber wenn man sich nicht als reinen Versorgungsroboter sieht, nimmt man sie sich. Und meiner Meinung nach gehört zu einer menschenwürdigen Betreuung auch, hier und da mal ein paar Minuten zuzuhören.«
    Touché! Winnie konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen, als sie sah, dass Verhoeven neben ihr die Waffen streckte und den Kopf abwandte. »Sie erwähnten eben, dass Herr Mang seinen Mitbewohnern auf die Nerven fiel«, versuchte sie, inhaltlich an das Vorangegangene anzuknüpfen.
    »Das Problem war, dass er nie ein Ende fand.« Ines Heider saß weit vorn auf der Stuhlkante. Fast wie auf dem Sprung. »Es hat mir leidgetan, wenn ich gesehen habe, dass die anderen die Flucht ergriffen, sobald er auftauchte. Aber zum Glück hat er das gar nicht mehr so richtig mitbekommen.«
    Was das angeht, wäre ich mir nicht so sicher, dachte Winnie, die sich als Schwester einer Wachkomapatientin bereits vor Jahren intensiv mit solchen Dingen auseinandergesetzt hatte und fest davon überzeugt war, dass die meisten Patienten viel mehr mitbekamen, als es sich manche Angehörige und Pflegekräfte vielleicht wünschen würden. »Bekam Herr Mang viel Besuch?«
    »Hin und wieder kamen ein paar von seinen alten Kollegen vorbei und brachten ihm eine Schachtel von den Pralinen, die er so gern aß.« Ines Heiders blasse Augen streiften die beiden Kommissare, als überlege sie, ob das bei ihnen im Alter wohl ähnlich aussähe. »Ich weiß noch, dass sie aus einem ganz bestimmten Laden sein mussten. Was das anging, war Herr Mang furchtbar eigen. Aber natürlich waren solche Besuche eher die Ausnahme und somit echte Highlights für ihn.« Ihr Blick wurde hart. »In der übrigen Zeit musste er sich mit seiner Frau begnügen.«
    Winnie sah wieder zu ihrem Vorgesetzten hinüber, doch Verhoevens Miene verriet weder Erkennen noch irgendein gesteigertes Interesse. »Hat er sich denn gefreut, wenn seine Frau kam?«, fragte sie, weil sie gelernt hatte, dass man dergleichen nicht automatisch voraussetzen konnte.
    »Ich denke schon. Sofern er sie erkannt hat.« Das Gesicht der jungen Nonne spiegelte eine plötzliche Verachtung, ohne dass Winnie hätte sagen können, gegen wen oder was sich diese Verachtung richtete. »Oft hat er sie allerdings mit falschen Namen angesprochen. Ich dachte damals immer, dass die Ärmste sich bestimmt fragt, ob diese anderen seine Geliebten waren oder so was in der Richtung.«
    Auf ihren Lippen erschien ein Lächeln, das irgendwie im Widerspruch zu ihrer sonstigen Erscheinung stand. Dazu war es viel zu … Winnie überlegte. Es war viel zu raffiniert für eine Nonne. Ja, dachte sie, raffiniert ist genau das richtige Wort. Aber natürlich war Ines Heider auch nicht von Geburt an Nonne gewesen. Sie hatte vermutlich ein ganz normales Leben gehabt. War verliebt gewesen, eifersüchtig, gehässig. Wie die meisten Menschen nun einmal waren.
    Ihr Gegenüber bemerkte, dass sie sich verraten hatte, und das Lächeln erstarb. »Es ist doch schließlich so«, verteidigte sie sich beinahe trotzig, »egal, wie gut oder schlecht ein Gedächtnis funktioniert, ganz willkürlich ist es doch schließlich nie, was wir so von uns geben …«
    Interessante Bemerkung, dachte Winnie.
    Und auch Verhoeven blickte auf. »Und Herrn Mangs Tod«, er zögerte, »kam der für Sie unerwartet?«
    Seltsamerweise schien diese Frage, so naheliegend sie im Zusammenhang mit Ackermanns Verbrechen auch sein mochte, die examinierte Altenpflegerin ernsthaft ins Nachdenken zu bringen. »Eigentlich nicht«, antwortete sie nach einer Weile.
    »Was meinen Sie mit ›eigentlich‹?«
    Ines Heider legte den Kopf zur Seite, während sie jedes einzelne ihrer Worte sorgfältig abzuwägen schien. »Körperlich war er – ähnlich wie Herr Rogolny – im Grunde noch topfit. Aber die Erkrankung schritt bei ihm wirklich außergewöhnlich schnell voran. Und kurz vor seinem Tod spitzten sich die Dinge irgendwie zu.«
    Winnie horchte auf. »Sie spitzten sich zu? Inwiefern?«
    »Herr Mang bekam Angst. Er fürchtete sich vor jeder Kleinigkeit, und dann war er bockig wie ein kleines Kind. Und außerdem wollte er von einem Tag auf den anderen nichts mehr von seiner Frau wissen.«
    »Wirklich?« Winnie hob überrascht die Brauen. »Können Sie sich einen Grund dafür

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