Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Frau ein Problem?
»Angezogen ist sie. Kuchen steht im Eisschrank. Das heißt, falls sie nichts anderes vorhaben«, sprudelte Silvie unterdessen weiter, während sie in ihre sagenhaft trendigen, aber offenbar fürchterlich unbequemen Wildlederstiefel schlüpfte. »Und sie soll ihre Handschuhe mitnehmen. Auch wenn sie nur drin sind. Lass dich da auf gar keinen Fall auf irgendwelche Diskussionen ein, okay? Und, glaub mir, sie wird versuchen, mit dir zu handeln.« Sie blickte ihn an und stutzte, als sie seinen verständnislosen Gesichtsausdruck sah. »Was ist?«
»Ich weiß nicht …«
»Soll das heißen, Winnie kommt nicht?«
Verdammt!
Verhoeven griff sich an die Stirn. Das hatte er ganz vergessen! Und seine Kollegin vermutlich auch. Oder vielleicht doch nicht? Er dachte an Winnie Hellers Nummer in seiner Liste verpasster Anrufe. Gott, was war er doch für ein Idiot!
Seine Frau war offenbar derselben Meinung. »Oh nein, Hendrik«, sagte sie, indem sie sich in ihrer ganzen Größe von immerhin eins dreiundsiebzig vor ihm aufbaute. »Sag mir jetzt nicht, dass Winnie nicht kann und du auch gleich wieder wegmusst, und dass ich zusehen soll, wie ich unserer Tochter erkläre, dass ihre Verabredung flachfällt und sie stattdessen mit ihrem Bruder und mir zum Arzt muss.« Sie stemmte die Fäuste in die Taille. »Sie hat seit dem Frühstück überlegt, was sie anzieht«, erklärte sie, während ihr die Tränen in die Augen schossen, was nur äußerst selten vorkam. »Und womit sie Winnie eine Freude machen könnte. Und jetzt … Ach, Scheiße!« Sie unterbrach sich und drehte den Kopf weg.
»Winnie kann nichts dafür.« Verhoeven streichelte sanft ihre Schulter. »Hinnrichs hat ihr praktisch von jetzt auf gleich eine verdeckte Ermittlung übertragen, und sie ist überhaupt nicht dazu gekommen, über irgendwas nachzudenken.« Er zuckte die Achseln. »Sie hat heute früh sogar noch versucht, mich anzurufen, aber wir haben uns verpasst.«
Silvie schüttelte seine Hand ab. »Ist doch egal«, versetzte sie bitter. »Es ist ja sowieso immer das Gleiche.«
»Ist es nicht«, widersprach er. »Sei von mir aus sauer auf mich. Aber lass Winnie da raus, okay? Es …« Er versuchte, ihren Blick zu erhaschen. Vergeblich. »Es war wirklich nicht ihr Fehler.«
Seine Frau wollte eben zu einer Entgegnung ansetzen, als Ninas zarte Gestalt auf der Treppe hinter ihnen auftauchte. Wie lange sie bereits in Hörweite war, vermochten sie beide nicht zu beurteilen. Doch mit einem absolut untrüglichen Gespür für den unpassendsten aller Augenblicke begann in diesem Moment Jan wie wild zu schreien.
Nina stutzte kurz. Dann drehte sie sich wortlos um und stürzte die Treppe hinauf.
»Ich rede mit ihr«, versprach Verhoeven, doch seine Frau war schneller.
»Nicht nötig«, versetzte sie barsch. »Kümmere du dich lieber um deinen Sohn.«
Während Verhoeven das vermummte Baby auf und ab trug, lauschte er nach oben. Darauf, ob Nina tobte. Oder weinte. Oder beides. Doch im Stockwerk über ihm blieb alles still. Soweit er das über den beachtenswerten Geräuschpegel seines Sohnes hinweg beurteilen konnte. Auf dem Höhepunkt der Aktion läutete das Telefon.
Verhoeven meldete sich.
»Hendrik, wie nett«, flötete gleich darauf die Stimme seiner Schwiegermutter, »das ist ja nahezu unglaublich, dass man dich auch mal zu Hause erwischt.«
Verhoeven hegte starke Zweifel, dass sie sich wirklich freute. »Tja, wie das Leben so spielt, was?«
Er sah das süßsäuerliche Lächeln seiner Schwiegermutter vor sich. Die Lippen, die auf den ersten Blick genau wie die seiner Frau aussahen, bei genauerer Betrachtung aber völlig anders wirkten.
»Wie geht’s dir?«
»Gut, danke.« Eine glatte Lüge, ganz klar.
»Ja, aber wer schreit denn da bei dir?« Wie immer, wenn es um ihre Enkel ging, änderte sich der Tonfall seiner Schwiegermutter schlagartig. Von schleimig-freundlich zu absolut blödsinnig-infantil. »Ja, wer könnte denn das sein? Ist das vielleicht der kleine Jan? «
Verhoeven verkniff sich jegliche Antwort auf diese rhetorische Fragenkanonade und nutzte die Zeit lieber dazu, seinen mittlerweile vom Schreien lila angelaufenen Sohn aus dem ungeliebten Anorak zu befreien.
»Ja, wie geht es denn Omas kleinem Liebling?«, drang es mit ungebremster Wucht aus dem Hörer, obwohl er das Telefon zwischenzeitlich auf der Garderobe abgelegt hatte. »Oooch … Warum hat er denn solchen Kummer, der arme kleine Mann?«
Genau genommen ist es eher der
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