Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
große Mann, der Kummer hat, dachte Verhoeven mit einem sarkastischen Lächeln in Richtung des Telefons.
»Dann müssen wir wohl bald mal wieder zusammen in die Stadt gehen, und Oma kauft dir einen gaaanz großen Teddy, nicht wahr, mein armer kleiner Liebling …«
»Er hat schon vier Teddys«, konnte Verhoeven sich nicht verkneifen anzumerken, indem er das Telefon wieder ans Ohr hob.
»Wirklich?« Erwartungsgemäß klang seine Schwiegermutter verstimmt. »Na, dann vielleicht lieber was zum Anziehen?«
Zwecklos, ihr zu sagen, dass sein Sohn mit seinen knapp vier Monaten bereits mehr Outfits besaß als die Bundeskanzlerin. »Das ist sehr lieb von dir, aber wir sind gegenwärtig bestens versorgt, und es wäre doch wirklich schade, wenn …«
»Unsinn!«, befand Silvies Mutter. »Kleidung hat man nie genug. Und es gibt ja heute so süße Sachen. Also, ich habe da gerade gestern eine Lederhose gesehen, die einfach nur entzückend ist, und …«
So, das reichte jetzt! Verhoeven nahm das Telefon in die andere Hand. »Ich finde, ehrlich gesagt, dass wir mit Lederhosen warten sollten, bis er acht ist.«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung hätte Glas zerschneiden können. »Wieso acht?«
Tja …
Gute Frage!
»Wegen …«
Die Rückkehr seiner Frau unterbrach seinen verzweifelten Erklärungsversuch gerade im rechten Moment.
»Du, entschuldige, aber Silvie kommt gerade, und wir müssen jetzt los.«
»Silvie? Ach, das trifft sich gut …«
Verhoevens Lippen formten den Namen seiner Schwiegermutter, was seine Frau zu einer knappen, aber eindrücklichen Geste der Ablehnung veranlasste.
»Gib sie mir doch bitte mal kurz, ja, Hendrik? Ich wollte sie nämlich noch fragen, wie wir das mit dem …«
»Tut mir leid«, unterbrach er sie, »aber wir sind sowieso schon viel zu spät dran. Wir sprechen ein anderes Mal weiter, ja?«
Zack! Verhoeven konnte förmlich hören, wie ihre Kinnlade herunterklappte. Leider war seine Schwiegermutter ganz und gar nicht daran gewöhnt, dass man ihr einen Wunsch abschlug. Und ihre Tochter zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit für sich und ihre Belange in Anspruch nehmen zu können, betrachtete sie als ein unabdingbares Grundrecht.
»Jan hat einen Arzttermin«, setzte er vorsichtshalber hinzu und erreichte damit immerhin, dass sie sich von einem prompten Gegenangriff ablenken ließ.
»Oooch«, machte sie, jetzt wieder in diesem kleinkindlichen Ton, der ihn aggressiv machte. »Ist er krank, der arme kleine Mann?«
»Nein, alles okay«, sagte Verhoeven, während er über die Frage nachdachte, wieso Jungen ab dem Tag ihrer Geburt wie selbstverständlich als »kleine Männer« bezeichnet wurden, während andererseits niemand auf die Idee zu kommen schien, von einem Mädchen wie Nina als einer »kleinen Frau« zu sprechen. Seine Augen krallten sich an einer vergessenen Ringelsocke fest, die in der Ecke hinter der Garderobe lag. »Der Termin ist reine Routine. Wegen Jans Wirbelsäule, du weißt schon.«
Wusste sie nicht. Aber erwartungsgemäß war sie sich auch zu fein, das zuzugeben.
»Ja, sicher, natürlich«, antwortete sie zuckersüß. »Na, dann will ich euch mal nicht länger aufhalten.«
Gottlob!
»Aber Silvie soll mich anrufen, ja? Wegen Papas Geburtstag.«
Autsch! Verhoeven riss die Augen auf. Stimmt, das stand ja auch schon wieder bevor! Und da sein Schwiegervater auch in diesem Jahr wieder die Dreistigkeit besitzen würde, am ersten Weihnachtsfeiertag Geburtstag zu haben, war das Verhängnis leider auch einigermaßen unausweichlich.
»Kein Mensch hat am ersten Weihnachtsfeiertag Dienst«, pflegte seine Schwiegermutter bei Fluchtversuchen seinerseits ebenso unrichtig wie kategorisch zu behaupten.
Woraufhin er sie alle Jahre wieder darauf hinwies, dass das Weihnachtsfest als emotionaler Katalysator Verbrechen gewissermaßen sogar eher begünstige als verhindere, weshalb er im Präsidium gerade in dieser schwierigen Zeit nachgerade unverzichtbar war.
Was seine Schwiegermutter in aller Regel mit der beleidigten Bemerkung kommentierte: »Du verdirbst uns mit deinen Horrorgeschichten noch das ganze Fest. Wir erwarten euch dann also um Punkt halb zwölf zum Brunch …«
Verhoeven schloss die Augen in dem wenig erfolgreichen Bemühen, die unerfreulichen Erinnerungen auszublenden. Und die leider ausgesprochen reale Schwiegermutter am anderen Ende der Leitung am besten gleich mit …
Doch die war noch immer mit dem bevorstehenden Geburtstag ihres Mannes beschäftigt:
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