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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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hatte. Das Neonlicht der Digitalanzeige ihres Radioweckers brannte in ihren Augen. Es war kurz vor eins, und mit Ausnahme des vertrauten Rauschens des Receivers, der auf dem Sideboard neben dem Fernseher stand, war es drinnen absolut still. Sie tastete über die kalte Oberfläche ihres Nachttischs und fand neben ihrem Buch und einem Paket Taschentücher endlich die kleine Schale, in der sie zwei weitere Beruhigungstabletten abgelegt hatte. Sie warf sich eine der glatten Kapseln in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Wasser herunter, das sie sich vor dem Zubettgehenmit nach oben genommen hatte. Dann zog sie sich die Decke über die nackten Arme, saß noch eine Weile reglos da und lauschte in die Dunkelheit.
    »Ich bin überreizt, keine Frage«, gestand sie sich ein. »Wieso sollte ein Einbrecher so töricht sein, in ein so gut gesichertes Haus einzubrechen?« In Gedanken vollzog Carla noch einmal ihren letzten Gang durch das Haus vor dem Schlafengehen nach und mahnte sich zur Ruhe. Dennoch entschloss sie sich, ihr Handy auf den Nachttisch zu holen, um sich ein wenig sicherer zu fühlen und im Notfall Hilfe herbeirufen zu können. Sie überlegte kurz, und dann fiel ihr ein, dass sie es auf dem Sideboard gegenüber abgelegt hatte, bevor sie sich ausgezogen und ein Bad genommen hatte. Carla knipste ihre Nachttischlampe an und stieg aus dem Bett. Dann huschte sie auf Zehenspitzen über den kalten Pitchpineboden und fand ihr Handy genau dort, wo sie es vermutete. Das griffbereit auf dem Nachtschrank abgelegte Telefon ließ sie sich sicherer fühlen, und sie hüllte sich wieder in ihre warme Decke. Ihr Innerstes war auf sonderbare Weise aufgewühlt, und dennoch fühlte sie sich gleichzeitig todmüde. Die Erlebnisse der letzten Wochen zerrten an ihren Nerven. Um sich abzulenken, schaltete Carla den Fernseher an und zappte sich für eine Weile von Kanal zu Kanal. Schließlich zog sie ein Film in seinen Bann, der in Venedig spielte. Sie erkannte einige der Brücken und Kanäle wieder, die in dem Film bei gänzlich trübem und ungemütlichem Wetter gezeigt wurden. Auch wenn die Stimmung in dem Film eher düster und fast ein wenig unheimlich war, erinnerten die Bilder sie an ihre Hochzeitsreise mit Konrad, die sie dorthin gemacht hatten. Und während in dem Film die Gondeln langsam durch nebelverhangene Kanäle schipperten,dachte auch Carla daran, wie sie dort herumgefahren waren. Die Reise schien ihr Lichtjahre her zu sein, und dennoch versuchte sie, sich eine Weile an der Erinnerung festzuhalten, weil der Urlaub in Venedig einer der wenigen war, die sie nicht mit Hanna unternommen hatte und sie deshalb nicht sentimental werden ließ. Nach einer Weile wurde Carla wieder schläfrig und legte sich auf die Seite. Die Bilder, die über den Bildschirm flimmerten, warfen tanzende Lichter in den Raum, und sie dämmerte wieder ein. Doch dann: Jemand rief nach ihr.
    »Hallo?« Carla brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass die Stimme, die sie hörte, aus dem Fernsehapparat kommen musste. Verschlafen tastete sie nach ihrer Fernbedienung und verfluchte sich dafür, den Abschalttimer nicht programmiert zu haben. Wo ist das verdammte Ding?, fragte sie sich und nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass ein Mann in dem Film nach einem Kind in einem roten Regenmantel rief und ihm offenbar nachlief. Beide hielten an, und der Mann sprach ganz freundlich zu dem Kind, das ihm den Rücken zugewandt hatte. Carla erinnerte sich plötzlich ganz dunkel daran, diesen Film schon einmal gemeinsam mit Hanna gesehen zu haben, und erneut lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Sie waren ungefähr zwölf Jahre alt gewesen damals. Ihr Vater hatte Gäste gehabt, und sie hatten sich heimlich in sein Schlafzimmer geschlichen und dort den Fernseher eingeschaltet. Keiner hatte nach ihnen geschaut und entsprechend bemerkt, dass sie sich einen Gruselfilm angesehen hatten. Die Erinnerung war mit einem Mal wieder da. Denn Carla hatte diesen Film bitter bereut und mit zahllosen Alpträumen gebüßt. Wie damals saß sie plötzlich wieder klein zusammengekauert da, hieltdie Decke tief unter das Kinn gezogen und starrte reglos auf den Bildschirm. Ihr war, als würde sie ein Déjà-vu erleben. Carlas Hand krampfte sich um den Zipfel ihrer Bettdecke, wie damals um Hannas Hand. Aus irgendeinem Grund war sie so gefesselt, dass es ihr nicht gelang, das Gerät abzuschalten. Gegenwart und Vergangenheit verwischten in Carlas wirrem Kopf und wurden zu einer Mischung

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