Schneetreiben
den Braun zwar schon bei anderen Einsätzen gesehen hatte, an dessen Namen er sich aber nicht erinnern konnte.
»Es ist doch immer dasselbe mit den Tätern«, scherzte Braun. »Die wissen gar nicht, wie schwer sie es uns oft machen.«
Auf dem oberen Treppenabsatz war eine grüne Bodenvase zu Bruch gegangen. Zwei übergroße Scherben des massiven Stücks hatte man gegen das Geländer gelehnt. Braun versuchte vergeblich, sich daran zu erinnern, an welchem Platz er die Vase gesehen hatte, als er das erste Mal nach Hanna Frombachs Tod hier hinaufgestiegen war, um sich gemeinsam mit Teubert deren Zimmer anzusehen. Wo immer die Vase gestanden haben mochte, jedenfalls hatte sie den Sturz vergleichsweise glimpflich überstanden. Möglicherweise war das dem zart gemusterten Orientteppich zu verdanken, der die Dielen am oberen Treppenabsatz zierte. Anders als bei seinem ersten Besuch wandte sich Braun diesmal nicht nach rechts, sondern linksherum und ging an der offenen Badezimmertür zum Schlafzimmer der Eheleute hinüber, das am Ende des Flurs lag. Bendt und Fischerstanden beide mit verschränkten Armen am Fußteil des Bettes und unterhielten sich, als Braun in den Türrahmen trat.
»Moin, die Herren«, grüßte Braun und registrierte, dass Bendt ziemlich müde aussah. Auch er war kein Frühaufsteher.
»Morgen«, antworteten die beiden.
Braun trat nicht sofort an das Bett heran, sondern verharrte zunächst auf der Schwelle. Es kam ihm durchaus gelegen, dass ihm seine Kollegen die direkte Sicht auf das Bett versperrten, denn so konnte er zunächst den Rest des Raums auf sich wirken lassen. Rechts von ihm an der Seitenwand fand sich ein, mit einer weißen Front versehener, massiver Einbauschrank, der über die ganze Breite des Raums reichte und dessen letzte Tür mit einem verschmierten roten Handabdruck versehen war. Selbst für den Laien wäre erkennbar gewesen, dass es sich um Blut handeln musste. Braun betrachtete das sonstige moderne und überwiegend in Weiß gehaltene Mobiliar und sah, dass auch am TV-Schrank Blutanhaftungen zu finden waren. Auf einem gestreiften Samtsessel daneben hatte Carla Frombach einen fein säuberlich zusammengelegten roten Damenpullover und eine Jeans abgelegt. Mit Ausnahme der Blutanhaftungen wirkte der Raum aufgeräumt. Braun trat zwischen Fischer und Bendt an die Fußseite des Bettes heran und blickte auf die beigegestreifte Bettwäsche, deren Farbe in vollendeter Harmonie zu den Flokativorlegern und den Vorhängen gestanden hätte, wäre da nicht das Loch in der Decke gewesen, um das herum sich der vornehme Bettbezug mit Blut vollgesogen hatte und aus dem einige Daunenfedern ausgetreten waren, was aussah, als habe man hier einFedervieh geschlachtet. Braun inspizierte das Laken, die helle Kopfstütze und den weißen Nachtschrank links des Bettes und betrachtete auch hier die Blutanhaftungen. Dann registrierte er die leere Matratze.
»Wurde Frau Frombach schon weggebracht?«, erkundigte sich Braun.
»Nein, sie ist unten. Du willst sie doch gleich sehen, oder?«, fragte Bendt.
»Klar«, bestätigte Braun, stemmte seine Arme in die Hüften und streckte sich einmal ausgiebig. »Ich dachte, ich fange erst mal hier oben an und mache mich warm. Ist ja schließlich noch verdammt früh heute.« Er ging gähnend zu einem der Fenster hinüber und öffnete es. Die kalte Winterluft war erfrischend.
»Was kannst du mir bisher sagen?«, fragte er Fischer.
Fischer nahm aus seinem mit Tiegeln versehenen Koffer ein offenbar mit dickem, fast schwarzem Blut gefülltes Glasröhrchen heraus und schwenkte es kurz vor Brauns und Bendts Augen hin und her, bevor er es wieder in den Koffer legte. »Das ist schon einmal mein heutiges Andenken an Frau Frombach«, sagte er, »das wird es mir ermöglichen, kurzfristig ziemlich genau etwas dazu zu sagen, ob und gegebenenfalls was sie in den vergangenen Stunden so zu sich genommen hat.« Fischer deutete auf den tellergroßen Fleck auf der Daunendecke.
»Zum Zustand des unfreiwilligen Blutspenders kann ich für den Moment noch reichlich wenig sagen. Ich habe ihn mir ja nicht anschauen können. Aber angesichts der Menge an Blut, die hier vergossen wurde, kann er wahrscheinlich von Glück sagen, dieses Haus nicht in einem geschlossenen Behältnis verlassen zu haben.«
»Warten wir es ab«, merkte Braun an. »vielleicht ist er schon tot und …«
Ein vernehmliches Räuspern ließ ihn verstummen. Der junge Mann mit der Kamera stand unschlüssig in der Tür und wurde
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