Schneetreiben
leider nicht fur Sie.«
Braun schob dem Italiener seine Karte über den Tresen. »Sagen Sie Ihrem Mitarbeiter bitte, dass wir ihn sprechen müssen. Und sollte die bella signorina je wieder in Ihrem Lokal auftauchen, rufen Sie mich bitte sofort an und halten Sie sie auf, bis wir hier eingetroffen sind.«
20
Die Zellentür fiel hinter Carla mit einem lauten Krachen ins Schloss. Dann wurde der eiserne Riegel davorgeschoben, und sie war allein. Sie setzte sich auf die schmale Pritsche und blickte sich in dem kahlen, kleinen Raum um. Durch ein winziges, verriegeltes Fenster, das sich in einer Ecke über einem Klapptisch mit einem Stuhl davor befand, fiel ein wenig Tageslicht. In der anderen Ecke befanden sich die Kloschüssel und das Waschbecken. Dann gab es noch eine schmucklose Klemmlampe am Bett, und das war’s. Carla legte sich zur Seite und rollte sich wie ein Embryo auf der stacheligen grauen Wolldecke zusammen. All das, was sie gerade erlebte, war schlimmer als jeder Alptraum. Und das Schlimmste war, dass ihr schien, als solle sie im Zeitraffer all die Dinge erleben, vor denen sich ihre Schwester immer gefürchtet hatte. Dazu hatte auch die Angst davor gehört, irgendwann verhaftet und eingesperrt zu werden. Wenn Hanna mal nicht gerade daran gedacht hatte, dass Keller sie umbringen würde, dann war sie immerhin sicher gewesen, dass er ihr aus Rache etwas anhängen und sie hinter Gitter bringen würde.
Es war kalt im Raum. Carla fröstelte. Die Geräusche, die sie von draußen vernahm, waren gleichermaßen fremd wie unheimlich. Carla hatte trotz der Zellentür, die sie von den anderen Häftlingen auf dem Flur trennte, Angst. Sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn draußen einer der Wärter etwas rief oder eine der eisernen Türen zuschlug. Sie mochtesich nicht vorstellen, auch nur die Nacht hier drinnen verbringen zu müssen. Sie wünschte sich, bei Konrad zu sein, und betete darum, dass er bald aufwachen und sie entlasten würde. Inzwischen hatte man ihr die Nachricht überbracht, dass er zwar zur Beobachtung noch auf der Intensivstation sei, aber zumindest nicht in akuter Lebensgefahr schwebe. Das war für den Moment das Wichtigste. Und dann würden sich hoffentlich auch die vielen offenen Fragen klären lassen, die in ihrem Kopf herumschwirrten, vor allem die, weshalb er sie angelogen hatte.
Vom Präsidium aus hatte sie einen Anwalt konsultieren dürfen. Sie hatte den Anwalt ihres Mannes aus Hamburg angerufen, weil er der Einzige war, den sie kannte, und er außerdem bisher alle Fälle betreut hatte, die sie beide beruflich oder privat betrafen. Konrads Termin in seiner Kanzlei hatte er zwar bestätigt, aber auch gesagt, dass ihr Mann schon um 16:30 Uhr wieder gegangen sei. Demnach hatte Konrad sie erst über seine Übernachtungspläne in Hamburg informiert, nachdem er das Anwaltsbüro bereits verlassen hatte. Konrad hatte gelogen, und sie wollte wissen, warum. Aber immerhin: Als Rechtsanwalt Niemeyer erfahren hatte, was ihr passiert war, hatte er sich sofort darum gekümmert, einen Kollegen herbeizuschaffen. Dr. Just hatte jetzt ihre Vertretung übernommen und sie auch zum Termin vor dem Haftrichter begleitet. Im Wesentlichen hatte sie dort noch einmal ihre Angaben aus der polizeilichen Vernehmung bestätigt. Er war nicht begeistert gewesen, dass sie vor ihrer ersten Vernehmung keinen Rechtsanwalt verlangt hatte.
»Das Wichtigste ist«, hatte er dann noch erklärt, »dass wir keine Überraschungen erleben, wenn ihr Mann aufwacht.«Die Art und Weise, wie er sie dabei angesehen hatte, war irritierend für sie gewesen, und sie hatte sich gefragt, ob er allen Ernstes glaubte, sie habe mit Absicht auf ihren Mann geschossen. »Natürlich wird mein Mann meine Angaben bestätigen«, hatte sie gesagt; und er hatte geantwortet: »Wenn das so ist, dann sind Sie in ein paar Tagen wieder zu Hause.« Carla hoffte inständig, dass er recht behielt.
21
Anna warf nur einen flüchtigen Seitenblick in den Flurspiegel. Ihr war klar, dass Georg die dunklen Ränder unter ihren Augen nicht entgehen würden. Sie atmete einmal tief durch und griff nach der Türklinke.
»Papi«, schrie Emily und sprang, kaum dass Anna die Haustür geöffnet hatte, an ihrem Vater hoch und schlang ihre Arme um seinen Hals.
»Du erwürgst mich ja fast«, krächzte Georg lachend und drückte Emily fest an sich, bevor er auch Anna einen Kuss auf die Wange gab.
»Komm ruhig einen Moment rein, wir sind noch nicht ganz startklar«, bot Anna an und
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