Schneetreiben
Ihnen irgendeinen Vorwurf gemacht zu haben.«
»Warum sollten Sie mich das sonst fragen?«, zischte Keller, der nun plötzlich einen sehr nervösen Eindruck machte. Braun fragte sich sofort, warum. Sein Zeuge wusste doch, dass es in dieser Befragung nicht um die ihm vorgeworfenen Betrugsdelikte ging. Was zum Teufel hatte er also zu verbergen? Offenbar wollte auch Bendt das gern so schnell wie möglich aus dem Zeugen herauskitzeln. Er löste sich jetzt von der Wand, trat an den Tisch heran und stützte sich mit beiden Händen darauf ab. Dann sah er Keller von oben herab an und fragte: »Wo waren Sie an dem besagten Samstagnachmittag, Herr Keller?«
»Ich habe Weihnachtseinkäufe in Lübeck erledigt. Das ist wohl kein Verbrechen, oder?«
»Ganz und gar nicht«, antwortete Bendt. Er richtete sich auf und trat hinter den Zeugen. Braun und Bendt verständigten sich mit einem Blick dahingehend, dass Braun den Faden wieder aufnehmen sollte.
»Sind Sie bei Ihrem Einkaufsbummel zufällig Frau Frombach begegnet?«, fragte der Hauptkommissar.
Keller machte es offenbar nervös, dass Bendt hinter seinem Rücken stand. Bevor er Braun antwortete, spähte er über die Schulter zu dem jungen Kommissar hinüber und maß ihn mit einem kritischen Blick. »Nein«, erwiderte er schroff. »Ich habe Frau Frombach nicht getroffen, und vom Balkon gestoßen habe ich sie übrigens auch nicht.«
»Dann sind wir doch schon wieder ein ganzes Stück vorangekommen.« Braun lächelte überlegen. »Wussten Sie denn zumindest, dass Hanna Frombach an diesem Tag in der Stadt sein würde?«
»Nein, ich wusste nicht, dass Hanna Frombach an jenem Tag in Lübeck sein würde«, antwortete Keller.
»Anders gefragt«, Braun versuchte, seine Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen, »sind Sie eventuell davon ausgegangen, dass Carla Frombach sich an jenem Tag in der Stadt aufhalten würde?«
Keller atmete vernehmlich laut ein. Ihm war anzusehen, dass er ahnte, dass die Kommissare Bescheid wussten. »Sie haben mit Johann Hansen gesprochen?«, lautete daher seine Gegenfrage.
»Sie können offenbar Gedanken lesen«, gab Braun zurück.
»Ich hatte ein paar Tage vor Hanna Frombachs bedauerlichem Unfall mit Hansen telefoniert«, gestand Keller das, was die Kommissare in Erfahrung gebracht hatten. »Ich versuche im Moment, meine finanziellen Angelegenheiten zu ordnen. Sie wissen sicher, dass ich zur Zahlung von Schadensersatz an die Schwestern verurteilt worden bin? Um zu verhindern, dass Carla aus dem Zivilurteil vollstreckt und dann für mich die Insolvenz unabwendbar wird, wollte ich mich mit ihr auf eine Summe einigen.«
»Warum wollten Sie mit Carla und nicht mit Hanna Frombach sprechen?«, fragte Braun sofort.
»Weil Carla auch in dem Verfahren gegen mich vor Gericht ausgesagt hat und ihre Schwester aus der ganzen Sache heraushalten wollte.«
Braun beließ es zunächst dabei und kam wieder auf dieInsolvenzsache zurück. »Also, Sie wollten wegen Ihres Insolvenzverfahrens mit Carla Frombach in Kontakt treten. Welche Motivation sollte sie haben, sich mit Ihnen zu einigen?«
»Damit sie wenigstens einen Teil ihrer Forderung realisieren kann«, sprach Keller aus, was Braun bereits vermutete. »Ich hatte vor, mir bei Freunden Geld zu leihen. Ich wollte Carla vorschlagen, von der geliehenen Summe anteilig die bestehende Forderung unter der Bedingung zu begleichen, dass auf den gesamten Rest verzichtet wird. Ich habe entsprechende Einigungen auch mit meiner Bank und anderen Gläubigern getroffen.«
»Verstehe«, sagte Braun. Ihm war natürlich klar, was Keller bezweckte. Er hatte den Gläubigern vermutlich unter dem Motto »Friss Vogel oder stirb« verschwindend geringe Beträge als Sofortzahlungen angeboten und ihnen andernfalls die Durchführung des Insolvenzverfahrens in Aussicht gestellt. Das würde dann bedeuten, dass am Ende gar keiner einen Cent erhielt. Keller würde vermutlich für die nächsten sechs Jahre offiziell am Existenzminimum leben und nur ein pfändungsfreies Gehalt beziehen, während er sich den Rest schwarz in die Tasche stecken könnte.
»Wirtschaftlich würden die Gläubiger besser fahren, wenn sie mein Angebot akzeptierten«, sagte Keller und bestätigte mit diesem süffisant klingenden Ausspruch Brauns Vermutung.
»Gut«, murmelte Braun. »Sie haben also von Herrn Hansen gewusst, dass Carla Frombach an jenem Nachmittag in Lübeck sein sollte?«
»Ja, und?« Keller verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte
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