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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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hatte entführen lassen. Wie durch einen Schleier vernahm sie das Lachen jener Tage, in denen sie die Zügel fest in der Hand gehalten hatte, und meinte, die Zuckerwatte zu schmecken und das Kratzen ihrer dicken Wollstrumpfhose zu spüren. Sie kämpfte den Kloß in ihrem Hals hinunter und lief weiter.
    Susan hatte Carla Frombach sofort erkannt, als sie sich kaum einen Meter neben ihr einen Weg durch die Menge vor den Kunsthandwerkbuden gebahnt hatte. Sofort hatte Susan die Christbaumkugel, die sie sich angesehen hatte, abgelegt und war Konrads Frau gefolgt. Jetzt stand Susan vor dem Haus der Schwestern in der Königstraße und blickte zu dem Balkon hinauf, von dem Hanna Frombach gestürzt war. Carla Frombach war vor wenigen Minuten in das Haus hineingegangen und war kurz darauf auf den Balkon getreten. Der Klang der Musik aus den Weihnachtsbuden hallte in Susans Kopf wider, während sie in der Dämmerung stand und daran dachte, wie es aussähe, wenn Carla Frombachs Körper genau dort auf den Asphalt aufschlagen würde,wo schon ihre Schwester zu Tode gekommen war. Sie sehnte sich so sehr danach, ohne Sorgen zu sein. Susan strich über ihren Bauch, in dem Konrads Kind heranwuchs. Es ging nicht mehr allein um sie, sondern um dieses ungeborene Kind, das sie jetzt schon liebte und dem sie eine gute Zukunft bieten wollte.
    Ohne Hast betrat sie das Gebäude und stieg die knarrende Treppe in den zweiten Stock hinauf. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass diese dumme Frau Konrad um ein Haar erschossen hätte. Nicht auszudenken, wenn er in jener Nacht gestorben wäre. Ihre ganze wirtschaftliche Existenz hing an einem seidenen Faden. Sie war verblüfft, wie schwach und verletzbar er in seinem Krankenbett gewirkt hatte. Im Krankenhaus hatte sie einen anderen Mann vorgefunden als den, der sie in jener verhängnisvollen Nacht zurückgelassen hatte. Susan zitterte bei der Erinnerung an die Stunden nach Verlassen des Lokals Alberto.
    Sie hatte Konrad niemals zuvor so wütend gesehen wie an jenem Abend. Er hatte gesagt, dass sie von ihm keinerlei Unterstützung mehr erwarten könne, sofern sie auch nur ein einziges Sterbenswort zu seiner Frau sage. Dann hatte er mit den Worten »Ich lasse mich von dir nicht erpressen« auf dem Absatz kehrtgemacht und sie einfach stehenlassen. Weinend und ziellos war sie durch die Altstadtstraßen gestreift, und erst nachdem der Sturm aufgezogen war und es heftig zu schneien begonnen hatte, war Susan nach Hause gelaufen. Als sie pitschnass und frierend ihren Schlüssel aus ihrer Handtasche gekramt und die Haustür aufgeschlossen hatte, war sie sicher gewesen, dass sich Konrad und sie für immer trennen würden. Sie hatte nicht bemerkt, dass Konrad ihr ins Gebäude gefolgt war. Als käme er aus demNichts, hatte er plötzlich vor der Wohnungstür hinter ihr gestanden. Dann hatte er sie zu sich herumgedreht, an die Wand gedrückt und sie so leidenschaftlich geküsst, dass ihr schwindelig geworden war.
    In jenem Moment hatte es für Susan kein Gestern und kein Morgen gegeben, sondern nur den schmerzlich-süßen Moment der Gegenwart, und als er ihr in ihrer Wohnung die nassen Kleider vom Leib gerissen und sie geliebt hatte, hatte sie sich ihm verzweifelt und voller Hoffnung zugleich hingegeben. Er war nicht geblieben, sondern hatte sie am späten Abend allein zurückgelassen. Als er ging, obwohl er die ganze Nacht mit ihr hätte verbringen können, hatte er sie gedemütigt und ihr ihre Grenzen aufgezeigt.
    Susan schüttelte die Gedanken an jene Nacht ab, als sie das zweite Stockwerk erreichte. Neben der Wohnungstür klebten Reste des polizeilichen Absperrbandes. Susan blieb stehen und lauschte. Aus dem Innern war kein Geräusch zu hören, und nur von unten aus dem Flur vernahm sie leise Stimmen. Nach einer Weile schaltete sich das Licht im Treppenhaus mit einem vernehmlichen Klicken automatisch aus.
    Neben dem Begehren, das Susan nach Konrad empfand, hatte er in ihr noch andere Bedürfnisse geweckt. Sie wollte auch den Luxus, den sie durch ihn kennengelernt hatte, nicht mehr missen. Die Welt hatte mehr zu bieten als eine zweiwöchige Pauschalreise für maximal sieben- oder achthundert Euro im Jahr, die sie sich als Arzthelferin so eben leisten konnte. Seit sie ihn kannte, konnte sie sich Dinge kaufen, einfach weil sie ihr gefielen.
    Susan schaltete das Licht im Flur nicht wieder ein. Sie betätigte sofort den Klingelknopf.

27
    Braun hatte nicht gezögert. Sofort nachdem Dr. Teubert sie alarmiert hatte,

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