Schneetreiben
naheliegend, dass sie verblüfft war, dass ihr der Gedanke nicht schon viel eher in den Sinn gekommen war.
Teubert verdrehte die Augen.
»Carla, du redest wirres Zeug.« Er schien Mühe zu haben, nicht aus der Haut zu fahren. »Keller kennt doch Susan gar nicht. Und du hast doch selbst gesagt, dass der Hauptkommissar nicht von einer Verwechslung ausgeht.«
»Aber das hat er doch nur mir gesagt!«, rief sie störrisch. »Verstehst du denn nicht, er hat mich angelogen.«
Teubert streckte seine Arme über den Tisch und ergriff Carlas Hände. »Hör zu«, bat er, »du steigerst dich da in etwas hinein. Niemand will dich umbringen, und auch Susan Kiefer hat nichts mit dem Tod deiner Schwester zu tun oder trachtet dir gar nach dem Leben.«
Carla war wütend. »Du verteidigst sie«, presste sie hervor, und dann kam ihr noch ein anderer Gedanke: »Warum bist du eigentlich heute Abend so spät nach Hause gekommen?«
Teubert stöhnte auf, entzog ihr seine Hände und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Jetzt geht das wieder los. Ich schwöre dir, dass es vorbei ist.«
Carla hatte im Moment nicht die Zeit, um darüber nachzudenken, was ein Schwur von ihm wert war. Sie war früher nie eifersüchtig gewesen, weil sie gemeint hatte, keinen Anlass dazu zu haben. Seit sie von seiner Affäre wusste, fielen ihr immer wieder Ereignisse aus den vergangenen Jahren ein, die sie vorher nicht ernst genommen hatte. Vor allemsah sie jetzt das Gerücht, das vor einigen Jahren im Stall die Runde gemacht hatte und eine mögliche Affäre ihres Mannes mit einer jungen Pferdewirtin betraf, in einem anderen Licht. Aber jetzt war nicht die Zeit, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie war sicher, dass es ein Mordkomplott gegeben hatte, dem statt ihrer irrtümlich ihre Schwester zum Opfer gefallen war.
»Du bist einfach völlig fertig«, meinte Teubert. »Erinnere dich, auch der Hauptkommissar hat dir geraten, dir professionelle Hilfe zu suchen.«
»Die Kommissare haben darüber gesprochen, dass ich mich auch umbringen könnte oder jemand anderen«, sagte Carla wütend. »Stattdessen müssten sie lieber der Frage nachgehen, wer mir auf den Fersen ist. Die wollen einfach nicht begreifen, in welcher Gefahr ich schwebe. Ich muss wissen, was an jenem Tag in der Wohnung passiert ist. Wenn ich Gewissheit habe, kann ich vielleicht mit allem abschließen.«
Teubert machte ein Gesicht, als berühre ihn Carlas Angst überhaupt nicht.
»Welchen Grund könnte Keller gehabt haben, an Hannas Todestag in der Königstraße aufzutauchen?«, fragte Carla.
Teubert überlegte einen Moment, bevor er antwortete: »Hör zu, ich sage dir das jetzt nur, damit du aufhörst, dir irgendwelche abstrusen Geschichten auszudenken. Keller hatte vor, sich mit uns zu treffen, weil er eine Insolvenzabsprache treffen wollte.«
»Bitte was?«, rief Carla aus. Es verschlug ihr fast die Sprache. Teubert erzählte ihr von seinem Telefonat mit Keller. »Ich habe dir damals gar nicht davon erzählt, damit du dich nicht aufregst. Der einzige Grund, den ich mir vorstellenkann, weshalb Keller damals zu der Wohnung gefahren sein könnte, ist, um dich zu einem anteiligen Forderungsverzicht zu überreden. Wer weiß, vielleicht ist er auf Hanna gestoßen, und sie ist deshalb in den Tod gesprungen.«
»Warum hast du mir das nicht schon viel früher erzählt?«, fuhr sie ihn an.
Teubert zuckte mit den Schultern. »Mir schien das Gespräch mit Keller nicht wichtig.«
»Nicht wichtig?«, schrie Carla. »Wahrscheinlich hat er sie über das Geländer gestoßen, und du findest das nicht wichtig?«
Teuberts Miene sah so gequält aus, dass Carla jede Hoffnung verlor, er würde sie je verstehen. »Ich konnte doch gar nicht wissen, dass Keller am Tag der Besichtigung dorthin gefahren ist«, sagte er leise.
»Ich will mich mit Keller treffen«, entschied Carla. »Ich muss mich dieser Situation stellen. Vielleicht spüre ich dann, was Hanna passiert ist.«
Teubert stöhnte auf. »Und am besten soll dieses Treffen noch in der Königstraße stattfinden«, schnaubte er ironisch.
»Ja«, bestätigte Carla, »genau das möchte ich. Bitte hilf mir dabei, auch wenn es verrückt klingt.«
»Carla, wenn Keller der Mörder deiner Schwester wäre, würde er jetzt bestimmt nicht ein weiteres Mal in dieser Wohnung auftauchen.«
»Mir ist egal, warum er auftaucht«, sagte Carla, »ich muss ihn sehen, und zwar dort.«
Über Teuberts Gesicht glitt jetzt derselbe Gesichtsausdruck, den sie so oft
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