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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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wahrgenommen hatte, wenn Hanna fantasiert hatte.
    »Pass auf, Carla«, sagte er. »Ich kann nicht verantworten, dass du irgendetwas im Alleingang unternimmst. Ich werde mit Keller reden und ihn bitten, sich morgen Nachmittag mit uns zu treffen. Ich werde mir schon irgendetwas ausdenken, damit er auch kommt. Ich will nur, dass du mir versprichst, keine Dummheiten zu machen und nichts im Alleingang zu tun. Außerdem musst du einwilligen, hinterher zu Pfeiffer zu gehen.«

39
    Carla hatte sich an diesem Morgen nicht bei den Pferden blicken lassen. Sie schämte sich furchtbar für die Geschehnisse der vergangenen Nacht und hatte sich noch immer nicht davon erholt. Als Konrad angerufen und das Treffen mit Keller bestätigt hatte, war ihr ein Stein vom Herzen gefallen. Carla hatte versucht, sich auszuruhen, und lief mittags noch im Bademantel herum, als Hansen zum Gutshaus herüberkam und klingelte.
    »Bist du krank«, fragte er und blickte an ihrem für diese Zeit ungewöhnlichen Aufzug hinunter, bevor er sich Smilla widmete, die ihn schwanzwedelnd begrüßte.
    »Nein«, antwortete sie schwach. »Ich hatte nur eine ganz fürchterlich schlechte Nacht und habe mich ausgeruht.«
    Hansen blieb auf der Schwelle stehen. Sie konnte ihm anmerken, dass er gern hineingebeten worden wäre, aber sie tat es nicht.
    »Konntest du wieder nicht schlafen?«, erkundigte er sich.
    »Ich  … ich habe fürchterlich geträumt und  …« Carla wurde gegen ihren Willen rot. »Ich bin im Moment nicht ich selbst«, brachte sie dann hervor und ärgerte sich gleichzeitig über diese Äußerung. Sie wusste, dass Hansen sie beobachtete, so wie er es früher bei Hanna getan hatte. Carla fühlte sich auf dem Hof von Tag zu Tag weniger sicher. Immer wieder fand sie Dinge an einem anderen Platz als dort, wo sie meinte sie kurz zuvor abgelegt zu haben. An einem Tag hatte sie den ganzen Stall zusammengeschrien, weil die Satteldeckeihres Pferdes ausgetauscht worden war. Sie wusste, was Hansen und die anderen gedacht hatten: Sie meinten, Carla wäre es selbst gewesen.
    »Hast du vergessen, dass wir heute Morgen ausreiten wollten?«, fragte Hansen.
    Carla schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Entschuldige, daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht.«
    »Kein Problem«, erwiderte er. »Wir können das heute Nachmittag nachholen.«
    »Nein, ich … muss in die Stadt«, stammelte sie.
    »Ich kann dich fahren, wenn es dir nicht gutgeht«, bot Hansen an.
    »Nein«, sagte sie etwas zu forsch. »Ich treffe mich mit … jemandem.«
    Sie konnte nicht ahnen, dass er am Nachmittag genau wie sie die Fahrt nach Lübeck antreten würde – er hatte zuvor ein Jagdgewehr im Kofferraum verstaut.

40
    Carla drehte den Schlüssel im Türschloss herum und trat in den dunklen Flur. Es war noch viel zu früh, aber sie hatte nicht unten auf Konrad warten wollen, sondern war allein hinaufgegangen. Den Schlüssel ließ sie außen stecken. Als sie das Licht einschaltete und eintrat, fröstelte sie bei der Erinnerung an die vergangene Nacht. Schnell lief sie über den Flur und ging sogleich in das Wohnzimmer hinein, um die Glühbirne anzuknipsen. Auf alberne Weise war sie erleichtert darüber, dass die Balkontür anders als in ihrem nächtlichen Alptraum verschlossen war. Auch Musik war nicht zu hören. Nur das Surren der Glühlampe durchbrach die Stille. Sie ließ ihren Blick über die nackten Wände streifen und atmete tief durch. Ihr war leicht schwindelig, wie oft in letzter Zeit. Wieder ging ihr die Frage durch den Sinn, in welcher Verfassung Hanna sich befunden haben mochte, als sie an jenem Samstag an diesem verlassenen Ort gewesen war.
    Die Konturen, die die einst hier aufgehängten Bilder an der kahlen Wand hinterlassen hatten, wirkten auf sie eher trostlos und traurig als unheimlich. Es war kalt, und es lag ein modrig-feuchter Geruch in der Luft, da die Renovierungsarbeiten nun schon längere Zeit ruhten. Carla war nervös. Natürlich erwartete sie nicht, dass Keller ihr gegenüber offen aussprechen würde, was sich hier oben an jenem Samstag abgespielt hatte, und dennoch wünschte sie sich, in seinen Augen irgendeine Gefühlsregung ablesen zu können,die ihr eine Antwort auf die Frage nach seiner Schuld liefern könnte.
    Carla öffnete die Balkontür und trat hinaus. Der Wind blies ihr entgegen, und nachdem die Temperaturen zwischenzeitlich fast frühlingshaft gewesen waren, fiel jetzt noch einmal Schnee. Die beleuchtete Straße, auf die sie hinunterschaute,

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