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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Tobias seine Jacke von der Garderobe, ergriff den Korb, in dem das Portemonnaie seines Vaters lag, und verließ das Haus. Er zitterte innerlich vor Zorn. Richters waren früher einmal gute Freunde seiner Eltern gewesen, und heute warf diese dürre Krähe seinen Vater einfach aus dem Laden! Das würde er sich nicht gefallen lassen. Als er die Straße überqueren wollte, nahm er aus dem Augenwinkel etwas Rotes an der Fassade der Gaststätte wahr und wandte sich um. HIER WOHNT EIN MÖRDERSCHWEIN stand in roter Sprühfarbe an der Mauer des Gebäudes. Tobias starrte ein paar Sekunden stumm auf den hässlichen Schriftzug, der jedem Vorbeifahrenden sofort ins Auge fallen musste. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, und der Knoten in seinem Magen zog sich fester zusammen. Diese Schweine! Was wollten sie damit erreichen? Ihn aus seinem Elternhaus vertreiben? Würden sie es als Nächstes womöglich anzünden? Er zählte bis zehn, dann drehte er sich wieder um und ging schnurstracks über die Straße zu Richters Lebensmittelladen. Die versammelte Tratschweiber-Mafia hatte ihn durch die großen Fensterscheiben kommen sehen. Als die Türglocke schrillte, standen sie da wie in einem Theaterstück: Margot Richter thronte hinter der Kasse, drahtig und biestig, mit Eisen im Rückgrat wie eh und je. Dahinter hatte sich ihr vierschrötiger Mann aufgebaut, eher schutzsuchend als drohend. Tobias bedachte jede der anderen Anwesenden mit einem Blick. Er kannte sie alle, die Mütter seiner Freunde aus Kindertagen. Ganz vorne Inge Dombrowski, Friseurin und ungekrönte Königin der verleumderischen Andeutungen. Dahinter Gerda Pietsch mit ihrem Bulldoggengesicht, doppelt so dick wie früher, aber wahrscheinlich auch doppelt so spitzzüngig. Neben ihr Nadjas Mutter Agnes Unger, verhärmt und mittlerweile grauhaarig. Unglaublich, dass sie eine so schöne Tochter hervorgebracht hatte!
    »Guten Morgen«, sagte er. Eisiges Schweigen schlug ihm entgegen. Aber es hinderte ihn auch niemand daran, durch die Regale zu gehen. Überlaut summten die Aggregate der Kühltheken in der angespannten Stille. Tobias lud in aller Seelenruhe in den Korb, was sein Vater auf dem Einkaufszettel notiert hatte. Als er an die Kasse trat, stand jeder noch wie eingefroren an seinem Platz. Äußerlich ungerührt legte Tobias die Waren auf das Förderband, doch Margot Richter hatte die Arme vor der Brust verschränkt und machte keine Anstalten, ihn abzukassieren. Die Glocke an der Ladentür klingelte, der ahnungslose Fahrer eines Paketdienstes kam herein. Er bemerkte die angespannte Stimmung und blieb zögernd stehen. Tobias wich keinen Millimeter zur Seite. Es war ein Kräftemessen, nicht nur zwischen ihm und Margot Richter, sondern zwischen ihm und ganz Altenhain.
    »Jetzt lass ihn schon bezahlen.« Lutz Richter knickte nach wenigen Minuten ein. Zähneknirschend gehorchte seine Frau und tippte stumm Tobias' Einkauf in die Kasse.
    »Zweiundvierzigsiebzig.«
    Tobias gab ihr einen 50-Euro-Schein, sie reichte ihm das Wechselgeld widerwillig und ohne ein Wort der Höflichkeit. Ihr Blick hätte die Südsee einfrieren lassen, aber das kümmerte Tobias nicht. Im Knast hatte er andere Machtkämpfe ausgefochten und war oft genug Sieger geblieben.
    »Ich habe meine Strafe abgesessen und bin wieder zurück.« Er schaute reihum in betretene Gesichter mit niedergeschlagenen Augen. »Ob es euch nun passt oder nicht.«
    Pia kam gegen halb zwölf auf dem Kommissariat an, nachdem sie ihre Zeugenaussage im Prozess gegen Vera Kaltensee im Frankfurter Landgericht gemacht hatte. Da schon seit Wochen niemand das Verlangen verspürt hatte, auf zweifelhafte Art aus dem Leben zu scheiden, gab es beim K11 vergleichsweise wenig zu tun. Das Skelett aus dem Erdtank des Eschborner Flughafens war der einzige aktuelle Fall. Die Ergebnisse aus der Rechtsmedizin ließen noch auf sich warten, deshalb ging Kriminalkommissar Kai Ostermann ohne sonderliche Hektik die Vermisstenfälle der vergangenen Jahre durch. Unterstützung hatte er keine. Kollege Frank Behnke hatte am Montag für die ganze Woche einen gelben Schein abgegeben, bei einem Sturz vom Fahrrad hatte er sich angeblich Gesichtsverletzungen und Prellungen zugezogen. Dass KK Andreas Hasse ebenfalls krank war, erstaunte niemanden. Schon seit Jahren war er immer wieder für Wochen und Monate krankgeschrieben. Man hatte sich im K 11 darauf eingerichtet, auch ohne ihn zurechtzukommen, und er fehlte niemandem. Pia traf ihre jüngste Kollegin

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