Schneewittchen muss sterben
Poren, er keuchte, seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Mit einem Stöhnen zog er sie auf sich, sah ihr vor Lust verzerrtes Gesicht. Sie bewegte sich immer heftiger, voller Begierde nach ihm, ihr Schweiß tropfte auf ihn herab. Eine Flutwelle rauschhaften Glücks erfasste ihn, brach mit einer unerwarteten Gewalt über ihn herein, und ihm war, als ob die Wände wankten und der Boden unter ihm bebte. Eine Weile lagen sie nur da, erschöpft und glücklich, und warteten keuchend darauf, dass sich ihr Herzschlag wieder normalisierte. Tobias nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste lange und sanft ihren Mund.
»Das war wundervoll«, sagte er leise.
»Ja. So sollte es für immer und ewig bleiben«, flüsterte Nadja mit rauer Stimme. »Nur du und ich.«
Ihre Lippen streiften seine Schulter, lächelnd kuschelte sie sich enger an ihn. Er zog die Decke über sie beide und schloss die Augen. Ja, so sollte es bleiben. Seine Muskeln entspannten sich, er wurde müde.
Doch plötzlich sah er Amelies Gesicht vor sich. Es traf ihn wie ein Fausthieb, schlagartig war er hellwach. Wie konnte er hier so ruhig herumliegen, während sie noch immer verschwunden war und womöglich irgendwo um ihr Leben kämpfte?
»Was hast du?«, murmelte Nadja schläfrig. Es gehörte sich nicht, im Bett von einer anderen Frau zu sprechen, aber Nadja machte sich ja auch Sorgen um Amelie.
»Ich habe gerade an Amelie gedacht«, erwiderte er also aufrichtig. »Wo sie wohl ist? Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen.«
Auf Nadjas Reaktion war er nicht gefasst. Sie erstarrte in seinen Armen, fuhr hoch und stieß ihn heftig von sich. Ihr schönes Gesicht war wutverzerrt.
»Ich glaube, du spinnst!«, schrie sie außer sich. »Du fickst mich und quatschst was von einer anderen Frau! Bin ich dir nicht genug?«
Sie ballte die Fäuste und trommelte ihm mit einer Kraft, die er ihr nicht zugetraut hatte, auf die Brust. Tobias hatte Mühe, sich ihrer zu erwehren. Keuchend und bestürzt über diesen Ausbruch, starrte er sie an.
»Du gemeines Arschloch!«, schrie Nadja, die Tränen quollen wie Sturzbäche aus ihren Augen. »Warum denkst du immer an andere Weiber? Schon früher musste ich mir immer anhören, was du mit dieser oder jener Tussi geredet und gemacht hast! Hast du dir nie überlegt, dass mich das verletzen könnte? Und jetzt liegst du hier mit mir im Bett und laberst von dieser … dieser kleinen Schlampe!«
Der dichte, feuchte Nebel lichtete sich und löste sich oben im Taunus ganz auf. Als sie auf der B8 hinter Glashütten den Wald verließen, begrüßte sie heller Sonnenschein. Bodenstein klappte die Sonnenblende nach unten.
»Lauterbach wird auftauchen«, sagte er zu Pia. »Er ist Politiker und um seinen Ruf besorgt. Seine Frau hat ihn sicher längst angerufen.«
»Na, hoffentlich.« Pia teilte den Optimismus ihres Chefs nicht so recht. »Claudius Terlinden wird auf jeden Fall überwacht.«
Die Telefonleitungen zwischen Kn, Staatsanwaltschaft und Gericht liefen heiß seit Jörg Richters Geständnis, Laura habe noch gelebt, als er und seine Freunde sie in den Bodentank geworfen hatten. Um ihr Leben gebettelt hatte sie, geweint und geschrien, bis sie den Deckel auf das Loch gewälzt hatten. Es war klar, dass es im Fall Laura Wagner zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommen musste, in dessen Verlauf man Tobias Sartorius freisprechen würde. Wenn er wieder auftauchte. Bis jetzt fehlte von ihm jede Spur.
Bodenstein bog nach links ab und fuhr durch das Dörfchen Kröftel nach Heftrich. Kurz vor der Ortseinfahrt von Heftrich lag der Bauernhof, den die Eltern von Stefanie Schneeberger vor zehn Jahren gekauft hatten. Ein großes Schild wies auf den Hofladen hin, in dem nur Bioprodukte aus eigenem Anbau und eigener Zucht verkauft wurden. Bodenstein hielt auf dem blitzsauberen Hof. Sie stiegen aus und blickten sich um. Von der nüchternen Funktionalität des ehemaligen Aussiedlerhofes, wie sie in den sechziger Jahren massenhaft aus dem Boden gestampft worden waren, war kaum noch etwas zu erkennen. Man hatte an- und umgebaut; unter dem neuen Vordach des Mittelbaus, in dem sich der Hofladen befand, warteten herbstliche Gestecke auf Käufer. Die Dächer der Gebäude bestanden beinahe ausschließlich aus Solar- und Photovoltaikplatten. Zwei Katzen rekelten sich auf der Haustürtreppe und genossen die seltenen Sonnenstrahlen. Der Laden war zur Mittagszeit geschlossen, und auch im Haus öffnete niemand. Bodenstein und Pia betraten den hellen
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