Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
verwirrt.
    »Ob er Menschen einschätzen kann. Weiß er, wer ihm wohlgesonnen ist und wer nicht?«
    »Das … kann ich nicht beurteilen. Thies spricht ja nicht. Er meidet den Kontakt zu anderen Menschen.«
    »Er weiß ganz genau, wer es gut mit ihm meint und wer nicht«, ließ sich Heidi Brückner von der Tür aus vernehmen. »Thies ist nicht geistig behindert. Eigentlich wisst ihr ja gar nicht so genau, was er wirklich hat.«
    Bodenstein war überrascht. Christine Terlinden erwiderte nichts. Sie stand am Fenster und blickte hinaus in das trübe Grau des Novembertages.
    »Autismus«, fuhr ihre Schwester fort, »ist ein weites Feld. Ihr habt einfach irgendwann aufgehört, ihn zu fördern, ihn stattdessen nur mit diesen Medikamenten vollgestopft, damit er ruhig ist und keine Probleme macht.«
    Christine Terlinden drehte sich um. Ihr ohnehin regloses Gesicht wirkte wie eingefroren.
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie zu Bodenstein. »Ich muss die Hunde rauslassen. Es ist schon halb neun.«
    Sie verließ das Zimmer, ihre Absätze klapperten auf der Treppe.
    »Sie flüchtet sich in ihren Alltag«, bemerkte Heidi Brückner mit einem Anflug von Resignation in der Stimme. »So war sie schon immer. Und sie wird sich wohl nicht mehr ändern.« Bodenstein sah sie an. Die Schwestern verband keine große Zuneigung. Aber weshalb war sie dann hier?
    »Kommen Sie«, sagte sie. »Ich zeige Ihnen etwas.«
    Er folgte ihr die Treppe hinauf in die Eingangshalle. Heidi Brückner blieb kurz stehen, um sich zu vergewissern, dass ihre Schwester nicht in der Nähe war, dann ging sie mit schnellen Schritten zur Garderobe und ergriff eine Tasche, die an einem der Haken hing.
    »Eigentlich wollte ich das einem befreundeten Apotheker geben«, erklärte sie leise. »Aber unter den gegebenen Umständen erscheint es mir besser, wenn es die Polizei bekommt.«
    »Was ist das?«, fragte Bodenstein neugierig.
    »Ein Rezept.« Sie reichte ihm einen gefalteten Zettel. »Dieses Zeug muss Thies seit Jahren nehmen.«
    Pia saß mit finsterem Gesicht an ihrem Schreibtisch und tippte den Bericht über die Vernehmung von Pietsch, Dombrowski und Richter in den Computer. Sie ärgerte sich, weil sie keine Handhabe hatte, um Claudius Terlinden länger in Gewahrsam zu behalten. Sein Anwalt war erneut vorstellig geworden und hatte auf sofortige Freilassung seines Mandanten gedrungen. Nach Rücksprache mit Kriminalrätin Dr. Engel hatte Pia Terlinden schließlich gehen lassen müssen. Ihr Telefon klingelte.
    »Dem Mädchen wurde der Schädel eindeutig mit diesem Wagenheber eingeschlagen«, sagte Henning mit Grabesstimme, ohne sich mit einem Gruß aufzuhalten. »Und wir haben in der Vagina tatsächlich eine fremde DNA festgestellt. Aber es dauert noch eine Weile, bis wir die genauer bestimmen können.«
    »Ja, super«, erwiderte Pia. »Und was ist mit dem Wagenheber? Könnt ihr die Spuren von damals noch mal untersuchen?«
    »Ich frage mal nach, wie beschäftigt unser Labor ist.« Er machte eine kurze Pause. »Pia …«
    »Ja?«
    »Hat sich Miriam bei dir gemeldet?«
    »Nein. Wieso sollte sie?«
    »Weil diese bescheuerte Kuh sie gestern angerufen und ihr gesagt hat, dass sie ein Kind von mir kriegt.«
    »Ach du Scheiße. Und jetzt?«
    »Tja.« Henning stieß einen Seufzer aus. »Miriam war ganz ruhig. Sie hat mich gefragt, ob das sein könnte. Als ich es ihr dann gestehen musste, hat sie keinen Ton mehr gesagt, hat ihre Tasche genommen und ist gegangen.«
    Pia hütete sich davor, ihm einen Vortrag über Treue und Seitensprünge zu halten. Er machte nicht den Eindruck, als könne er dies im Augenblick verkraften. Obwohl es sie nichts mehr anging, tat ihr Exmann ihr leid.
    »Hast du dir mal überlegt, ob die Löblich dich vielleicht reinlegen will?«, erwiderte sie. »An deiner Stelle würde ich Nachforschungen anstellen. Ist sie wirklich schwanger? Und wenn ja, kommt nicht eventuell ein anderer Mann in Frage?«
    »Darum geht es gar nicht«, erwiderte er. »Worum dann?«
    Henning zögerte mit seiner Antwort. »Ich habe Miriam betrogen, ich Idiot«, sagte er nach einer Weile. »Und das wird sie mir nicht verzeihen.«
    Bodenstein betrachtete das Privatrezept, das Dr. Daniela Lauterbach ausgestellt hatte, und überflog die verschriebenen Medikamente. Ritalin, Droperidol, Fluphenazin, Fentanyl, Lorazepam. Auch als Laie wusste er, dass Autismus keine Krankheit war, die man mit Psychopharmaka und Beruhigungsmitteln behandeln konnte.
    »Es ist eben einfacher, Probleme mit

Weitere Kostenlose Bücher