Schneewittchen muss sterben
wohne wieder bei meinen Eltern. Komisch, oder?«
»Besser als ein Hotel. Na, komm schon. Steh auf.«
Bodenstein rührte sich nicht. Er wandte seinen Blick nicht von ihrem Gesicht. Plötzlich erinnerte er sich daran, wie er sie damals, vor mehr als siebenundzwanzig Jahren, auf der Party eines Kommilitonen zum ersten Mal getroffen hatte. Mit ein paar Jungs hatte er den ganzen Abend in der winzigen Küche gestanden und Bier getrunken. Die anwesenden Mädchen hatte er gar nicht richtig wahrgenommen, denn die Enttäuschung über seine Jugendliebe Inka war zu frisch gewesen, als dass ihm der Sinn nach einer neuen Beziehung gestanden hätte. Vor der Klotür war ihm Nicola begegnet. Sie hatte ihn von Kopf bis Fuß gemustert und in ihrer unnachahmlich direkten Art etwas zu ihm gesagt, das ihn veranlasst hatte, auf der Stelle mit ihr gemeinsam die Party zu verlassen, ohne sich bei seinem Gastgeber zu verabschieden. Damals war er ähnlich angetrunken und ähnlich verletzt gewesen wie heute. Unvermittelt jagte eine Hitzewelle durch seinen Körper, schoss in seinen Unterleib wie glühende Lava.
»Du gefällst mir«, wiederholte er ihre Worte von damals mit rauer Stimme. »Hast du Lust auf Sex?«
Nicola sah ihn überrascht an, ein Lächeln schlich sich in ihre Mundwinkel.
»Warum nicht?« Sie hatte ihren allerersten Dialog so wenig vergessen wie er. »Ich muss nur noch mal schnell aufs Klo.«
Montag, 24. November 2008
»Dieses Hemd und die Krawatte hattest du doch gestern schon an«, bemerkte Pia mit scharfem Blick, als Bodenstein zu ihr in den noch leeren Besprechungsraum trat. »Und du bist nicht rasiert.«
»Deine Beobachtungsgabe ist wahrhaftig phänomenal«, erwiderte er trocken und ging zur Kaffeemaschine. »Bei meinem überstürzten Auszug konnte ich leider nicht meinen ganzen Kleiderschrank mitnehmen.«
»Soso.« Pia grinste. »Ich habe dich immer für jemanden gehalten, der selbst im Schützengraben noch jeden Tag frische Klamotten anzieht. Oder solltest du etwa meinen guten Rat befolgt haben?«
»Bitte keine unangemessenen Schlussfolgerungen.« Bodenstein setzte eine undurchdringliche Miene auf und gab einen Schuss Milch in seinen Kaffee. Pia wollte gerade etwas erwidern, als Ostermann in der Tür erschien.
»Welche schlechten Nachrichten bringen Sie mit, Herr Kriminaloberkommissar?«, fragte Bodenstein. Ostermann warf erst seinem Chef, dann Pia einen irritierten Blick zu. Die zuckte nur die Schultern.
»Tobias Sartorius hat sich gestern Nacht bei seinem Vater gemeldet. Er liegt in einem Krankenhaus in der Schweiz«, antwortete er. »Von Amelie, Thies oder Frau Dr. Lauterbach gibt es nach wie vor nichts Neues.«
Hinter ihm trat Kathrin Fachinger ein, gefolgt von Nicola Engel und Sven Jansen.
»Guten Morgen«, sagte die Kriminalrätin. »Ich bringe die versprochene Verstärkung. KK Jansen wird vorübergehend im Team des K 11 mitarbeiten, Bodenstein. Wenn Sie damit einverstanden sind.«
»Ja, bin ich.« Bodenstein nickte dem Kollegen vom Diebstahlsdezernat, der gestern mit Pia bei Terlinden gewesen war, zu und setzte sich an den Tisch. Die anderen folgten seinem Beispiel, nur Nicola Engel entschuldigte sich und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Kann ich Sie noch einmal kurz unter vier Augen sprechen?«
Bodenstein stand wieder auf, folgte ihr hinaus auf den Flur und schloss die Tür hinter sich.
»Behnke hat eine einstweilige Verfügung gegen seine Suspendierung erwirkt und sich gleichzeitig krankgemeldet«, sagte Nicola Engel mit gesenkter Stimme. »Sein Rechtsbeistand ist ein Anwalt aus der Kanzlei von Dr. Anders. Wie kann er sich das leisten?«
»Anders macht so etwas gerne auch ohne Geld«, erwiderte Bodenstein. »Ihm sind doch nur die Schlagzeilen wichtig.«
»Na ja, warten wir ab, was passiert.« Nicola Engel musterte Bodenstein. »Ich habe eben noch etwas erfahren. Eigentlich wollte ich es dir in einem besseren Moment sagen, aber bevor du es durch irgendeine undichte Stelle von jemand anderem hörst …«
Er blickte sie aufmerksam an. Jetzt konnte alles folgen, angefangen von seiner Suspendierung bis zu der Neuigkeit, dass sie die Leitung des BKA übernehmen würde. Es war eine von Nicolas typischen Charaktereigenschaften, sich nie in die Karten schauen zu lassen.
»Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung«, verkündete sie ihm zu seiner Überraschung. »Erster Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein. Inklusive Erhöhung der Besoldungsstufe. Was sagst du dazu?« Sie
Weitere Kostenlose Bücher