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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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lächelte ihn erwartungsvoll an.
    »Muss ich jetzt das Gefühl haben, ich hätte mich hochgeschlafen?«, entgegnete er. Die Kriminalrätin grinste, wurde dann aber ernst.
    »Bereust du die letzte Nacht?«, wollte sie wissen. Bodenstein legte den Kopf schief.
    »Das würde ich jetzt nicht behaupten«, antwortete er. »Und du?«
    »Ich auch nicht. Obwohl mir Aufgewärmtes sonst nicht schmeckt.«
    Er grinste, und sie wandte sich zum Gehen. »Ach, Frau Kriminalrätin …« Sie blieb stehen.
    »Vielleicht … können wir es gelegentlich wiederholen.« Da grinste sie auch.
    »Ich denke darüber nach, Herr Hauptkommissar. Bis später!«
    Er blickte ihr nach, bis sie verschwunden war, dann legte er die Hand auf die Türklinke. Ganz plötzlich und unerwartet erfüllte ihn ein fast schmerzhaftes Glücksgefühl. Nicht etwa, weil er sich gerächt und nun seinerseits Cosima betrogen hatte – und das auch noch mit seiner Chefin, die sie von Herzen verabscheute –, sondern weil er sich in dieser Sekunde so frei fühlte wie eigentlich noch nie in seinem Leben. In der letzten Nacht hatte sich seine Zukunft mit atemberaubender Klarheit vor ihm entfaltet, ihm ungeahnte Möglichkeiten offenbart, nachdem er wochenlang tief gekränkt und voller Selbstmitleid in einem Tal der Tränen herumgekrebst war. Nicht dass er sich an Cosimas Seite jemals gefangen gefühlt hatte, aber nun ahnte er, dass mit dem Scheitern seiner Ehe nicht alles vorbei sein musste. Ganz im Gegenteil. Nicht alle Menschen bekamen mit fast fünfzig Jahren noch einmal eine neue Chance.
    Amelies Beine waren zu Eis gefroren, trotzdem schwitzte sie am ganzen Körper. Mit aller Kraft versuchte sie, Thies' Kopf über Wasser zu halten. Allein der Auftrieb des Wassers, das mittlerweile gut vierzig Zentimeter über dem letzten Regalboden stand, hatte es ihr ermöglicht, seinen Körper in eine sitzende Position zu bringen. Glücklicherweise war das Regal fest in die Mauer geschraubt, sonst wäre es wahrscheinlich schon umgekippt. Amelie holte keuchend Luft und versuchte, ihre verkrampfte Muskulatur zu lockern. Mit ihrem rechten Arm hielt sie Thies umklammert, mit der linken Hand versuchte sie, die Decke zu berühren. Ein halber Meter Luft war noch übrig, mehr nicht.
    »Thies!«, flüsterte sie und schüttelte ihn leicht. »Wach doch auf, Thies!«
    Er reagierte nicht. Sie konnte ihn unmöglich noch höher ziehen, das ging über ihre Kräfte. Aber in ein paar Stunden würde sein Kopf unter Wasser sein. Amelie war nahe daran, aufzugeben. Es war so kalt! Und sie hatte eine so entsetzliche Angst vor dem Ertrinken. Immer wieder kamen ihr Bilder aus
Titanic
in den Sinn. Den Film hatte sie ein halbes Dutzend Mal gesehen und Rotz und Wasser geheult, als Leonardo DiCaprio von dem Brett abgeglitten und in den Tiefen des Meeres versunken war. Das Wasser des Nordatlantiks konnte kaum kälter gewesen sein als die Scheißbrühe hier!
    Mit zitternden Lippen sprach sie unablässig auf Thies ein, bettelte ihn an, schüttelte ihn, kniff ihn in den Arm. Er musste einfach aufwachen!
    »Ich will nicht sterben«, schluchzte sie und lehnte erschöpft ihren Kopf an die Wand. »Ich will nicht sterben, verdammt!«
    Die Kälte lähmte ihre Bewegungen und ihre Gedanken. Mit größter Anstrengung strampelte sie mit den Beinen im Wasser hin und her, aber irgendwann wollte ihr auch das nicht mehr gelingen. Sie durfte nur nicht einschlafen! Wenn sie Thies losließ, würde er ertrinken und sie mit ihm.
    Claudius Terlinden blickte unwillig von den Akten auf, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, als seine Sekretärin Bodenstein und Pia Kirchhoff in sein Büro führte.
    »Haben Sie meinen Sohn gefunden?« Er stand nicht von seinem Stuhl auf und gab sich keine Mühe, seinen Widerwillen zu überspielen. Aus der Nähe erkannte Pia, dass die Ereignisse der letzten Tage nicht spurlos an Terlinden vorübergegangen waren, wenngleich er äußerlich ungerührt wirkte. Er war blass und hatte dunkle Schatten unter den Augen. Flüchtete er sich in die tägliche Routine, um seine Sorgen zu vergessen?
    »Nein«, bedauerte Bodenstein. »Leider nicht. Aber wir wissen, wer ihn aus der Psychiatrie entführt hat.«
    Claudius Terlinden sah ihn fragend an.
    »Gregor Lauterbach hat den Mord an Stefanie Schneeberger gestanden«, fuhr Bodenstein fort. »Seine Frau hat das vertuscht, um ihn und seine Karriere zu schützen. Sie wusste, dass Thies Augenzeuge der Tat gewesen war. Sie hat Ihren Sohn massiv bedroht und über Jahre hinweg

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