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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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geschehen war. Der Gedanke, jetzt hinaus in den Regen zu gehen und mitten auf der Straße mit einem erbosten Busfahrer zu diskutieren, kotzte ihn an. Alles kotzte ihn an. Die Tür wurde geöffnet.
    »Mensch, du blutest ja!« Pias Stimme klang erst erschrocken, aber dann prustete sie plötzlich los. Hinter ihr auf der Straße im Regen herrschte Gedränge. Beinahe jeder Kollege, der bei der Hausdurchsuchung mitgewirkt hatte, wollte offenbar den Schaden an BMW und Bus begutachten.
    »Was gibt's denn da wohl zu lachen?« Bodenstein blickte sie gekränkt an.
    »Entschuldige bitte.« Die Anspannung der letzten Stunden entlud sich in einem beinahe hysterischen Lachanfall. »Aber irgendwie dachte ich, dein Blut wäre blau und nicht rot.«
    Es war schon fast dunkel, als Pia den ziemlich zerbeulten, aber immerhin noch fahrbereiten BMW durch das Tor des Terlinden-Anwesens lenkte, das diesmal weit geöffnet war. Es war purer Zufall, dass sich Frau Dr. Lauterbach in ihrer »Zweigstelle«, wie sie es nannte, aufgehalten hatte. Normalerweise hatte sie in ihrer Praxis im alten Rathaus in Altenhain nur mittwochnachmittags Sprechstunde, aber sie hatte gerade eine Krankenakte für einen Patientenbesuch holen wollen, als es auf der Straße krachte. Sie hatte die Platzwunde an Bodensteins Kopf sachkundig und rasch verarztet und ihm geraten, sich für den Rest des Tages hinzulegen, denn eine Gehirnerschütterung sei nicht auszuschließen. Aber das hatte er entschieden abgewehrt. Pia, die ihren Heiterkeitsausbruch schnell wieder unter Kontrolle bekommen hatte, ahnte, was ihren Chef beschäftigte, auch wenn er Cosima und seinen Verdacht nicht mehr erwähnt hatte.
    Sie fuhren die geschwungene, von niedrigen Laternen beleuchtete Auffahrt entlang, die durch einen Park mit herrlichen alten Bäumen, Buchsbaumhecken und winterlich kahlen Blumenrabatten führte. Hinter einer Kurve tauchte in der nebligen Dämmerung des hereinbrechenden Abends das Haus auf, eine große, alte Villa im Fachwerkstil mit Erkern, Türmen, spitzgiebligen Dächern und einladend beleuchteten Fenstern. Sie fuhr in den Innenhof und hielt direkt vor der dreistufigen Treppe. Unter dem von massiven Holzpfosten getragenen Vordach grinste ihnen ein Arrangement von Halloween-Kürbissen entgegen. Pia betätigte die Türglocke, sofort erhob sich im Innern des Hauses vielstimmiges Hundegebell. Durch die altmodischen Milchglasscheiben der Haustür erkannte sie undeutlich eine ganze Meute von Hunden, die bellend an der Tür hochsprangen; am höchsten schaffte es ein langbeiniger Jack-Russel-Terrier, der wie ein Irrsinniger kläffte. Ein kalter Wind trieb den feinen Regen, der allmählich zu scharfen, kleinen Schneekristallen wurde, unter das Vordach. Pia klingelte erneut, woraufhin sich das Gebell der Hunde zu einem ohrenbetäubenden Crescendo steigerte.
    »Vielleicht kommt bald mal einer«, schimpfte sie und schlug den Kragen ihrer Jeansjacke hoch.
    »Früher oder später wird schon jemand aufmachen.« Bodenstein lehnte sich an das hölzerne Geländer, verzog keine Miene. Pia warf ihm einen missmutigen Blick zu. Seine stoische Geduld brachte sie manchmal auf die Palme. Endlich näherten sich Schritte, die Hunde verstummten und verschwanden wie von Geisterhand. Die Haustür ging auf, und im Türrahmen erschien eine mädchenhaft zierliche Blondine, gekleidet in eine pelzumsäumte Weste über einem Rollkragenpullover, einen knielangen Karorock und modische hochhackige Stiefel. Auf den ersten Blick hätte Pia die Frau für Mitte zwanzig gehalten. Sie hatte ein alterslos glattes Gesicht und große, blaue Puppenaugen, mit denen sie erst Pia, dann Bodenstein mit höflicher Zurückhaltung musterte.
    »Frau Terlinden?« Pia suchte in den Taschen der Daunenweste, dann in der Jeansjacke darunter nach ihrer Marke, während Bodenstein stumm wie ein Fisch blieb. Die Frau nickte. »Mein Name ist Kirchhoff, das ist mein Kollege Bodenstein. Wir kommen vom K11in Hofheim. Ist Ihr Mann zu Hause?«
    »Nein, tut mir leid.« Frau Terlinden reichte ihnen freundlich lächelnd die Hand, die ihr wahres Alter verriet. Sie musste die fünfzig seit ein paar Jahren überschritten haben, ihr jugendliches Outfit wirkte plötzlich wie eine Verkleidung. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Sie machte keine Anstalten, sie ins Haus zu bitten. Durch die geöffnete Tür erhaschte Pia dennoch einen Blick in das Innere und sah eine breite Freitreppe, deren Stufen mit bordeauxrotem Teppich ausgelegt waren, eine Eingangshalle mit

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