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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Altenhain hatte die Heizung des Autos kaum in Gang gebracht. Der Schneefall wurde dichter. Wie sollte sie den BMW später noch bis nach Hofheim chauffieren, ohne im Straßengraben zu landen? Ihr Blick fiel auf eine hässliche Delle am linken hinteren Kotflügel des schwarzen Mercedes, und sie sah genauer hin. Sehr alt konnte der Schaden nicht sein, sonst hätte sich Rost gebildet.
    Sie hörte, wie eine Autotür hinter ihr zuschlug, und wandte sich um. Bodenstein hielt ihr die Tür auf, sie betraten die Empfangshalle. Hinter einem Tresen aus poliertem Walnussholz saß ein junger Mann; an der meterhohen weißen Wand hinter ihm prangte nur der Name TERLINDEN in goldenen Lettern. Schlicht und dennoch imposant. Pia erläuterte ihm ihr Anliegen, und nach einem kurzen Telefonat begleitete er sie und Bodenstein zu einem Aufzug im hinteren Teil der Halle. Schweigend fuhren sie in den 4. Stock, wo sie bereits von einer gepflegten Dame mittleren Alters erwartet wurden. Sie war offenbar im Aufbruch in den Feierabend begriffen und trug schon Mantel, Schal und ihre Tasche über der Schulter, führte sie aber pflichtschuldig zum Büro ihres Chefs.
    Nach allem, was Pia bisher über Claudius Terlinden gehört hatte, hatte sie einen jovialen Patriarchen erwartet und war zuerst ein wenig enttäuscht, als sie den ziemlich durchschnittlich aussehenden Mann in Anzug und Krawatte hinter einem völlig überladenen Schreibtisch sitzen sah. Er erhob sich, als sie eintraten, knöpfte sein Jackett zu und kam ihnen entgegen.
    »Guten Abend, Herr Terlinden.« Bodenstein war aus seiner Starre erwacht. »Entschuldigen Sie die späte Störung, aber wir haben heute schon mehrfach versucht, Sie zu erreichen.«
    »Guten Abend«, erwiderte Claudius Terlinden und lächelte. »Meine Sekretärin hat mir Ihre Nachricht hinterlassen. Ich hätte mich gleich morgen früh gemeldet.«
    Er war etwa Mitte bis Ende fünfzig, sein dichtes, dunkles Haar wurde an den Schläfen grau. Aus der Nähe betrachtet, sah er alles andere als durchschnittlich aus, stellte Pia fest. Claudius Terlinden war kein schöner Mann, seine Nase war zu groß, das Kinn zu kantig, sein Mund für einen Mann etwas zu voll, dennoch strahlte er etwas aus, das sie faszinierte.
    »Großer Gott, Sie haben ja eiskalte Hände!«, stellte er besorgt fest, als er ihr eine angenehm warme, trockene Hand reichte, und legte ganz kurz auch seine andere Hand um die ihre. Pia zuckte zusammen, es fühlte sich an, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten. Ein kurzer Ausdruck des Erstaunens huschte über Terlindens Gesicht.
    »Soll ich Ihnen einen Kaffee holen oder einen heißen Kakao, damit Sie ein wenig auftauen?«
    »Nein, nein, schon gut«, erwiderte Pia, verunsichert von der Intensität seines Blicks, die ihr unwillkürlich das Blut ins Gesicht trieb. Sie sahen sich ein wenig länger an als notwendig. Was war da eben passiert? Handelte es um eine simple, physikalisch zu erklärende statische Entladung oder etwas ganz anderes?
    Bevor sie oder Bodenstein die erste Frage stellen konnten, erkundigte Terlinden sich nach Amelie.
    »Ich mache mir große Sorgen«, sagte er ernst. »Amelie ist die Tochter meines Prokuristen, ich kenne sie gut.«
    Pia erinnerte sich dunkel, dass sie eigentlich vorgehabt hatte, ihn hart anzugehen und ihm zu unterstellen, er sei scharf auf das Mädchen gewesen. Aber dieser Vorsatz war plötzlich wie weggeblasen.
    »Wir haben leider noch keine neuen Erkenntnisse«, sagte Bodenstein. Ohne lange Vorrede kam er zur Sache. »Man hat uns erzählt, dass Sie Tobias Sartorius einige Male im Gefängnis besucht haben. Welchen Grund hatten Sie dafür? Und weshalb haben Sie die Schulden seiner Eltern übernommen?«
    Pia schob die Hände in die Taschen ihrer Weste und versuchte sich zu erinnern, was sie Terlinden so dringend hatte fragen wollen. Aber ihr Gehirn war plötzlich so leer wie eine frisch formatierte Computerfestplatte.
    »Hartmut und Rita wurden nach dieser schrecklichen Sache von den Leuten im Dorf wie Aussätzige behandelt«, antwortete Claudius Terlinden. »Ich halte nichts von Sippenhaft. Was auch immer ihr Sohn getan haben mag, sie konnten nun wirklich nichts dafür.«
    »Obwohl Tobias Sie damals verdächtigte, etwas mit dem Verschwinden eines der beiden Mädchen zu tun zu haben? Sie sind durch seine Behauptung in ziemliche Schwierigkeiten geraten.«
    Terlinden nickte. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und legte den Kopf schief. Es schien seiner Selbstsicherheit

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