Schneewittchen-Party
hier wuchs, sah aus, als wäre es von allein dort gewachsen. Nichts schien mit Vorbedacht gepflanzt zu sein, und doch wusste Poirot, dass der Schein trog, dass alles ganz genau geplant war, von der winzigen Pflanze, die zu seinen Füßen wuchs, bis zu dem gewaltigen Strauch mit seinen goldenen und roten Blättern. O ja, dachte Poirot bei sich, alles war genau geplant worden, und noch mehr: Alles hatte sich diesen Plänen unterworfen, hatte gehorcht.
Dann fragte er sich, wem es denn wohl gehorcht hatte. Mrs Levin-Smith oder Mr Michael Garfield? Das ist nämlich ein Unterschied, sagte sich Poirot, ja, ein großer Unterschied. Mrs Levin-Smith hatte bestimmt große gärtnerische Kenntnisse gehabt. Sie hatte gewusst, was sie wollte, und hatte es auch gesagt. Aber hatte sie auch im Geiste vor sich gesehen, wie das, was sie angeordnet hatte, aussehen würde, wenn es durchgeführt war? Nach zwei, drei oder vielleicht sogar erst nach zehn Jahren, wenn die Pflanzen voll entfaltet waren? Michael Garfield, dachte Poirot, wusste, was sie haben wollte, weil sie es ihm gesagt hatte, und er konnte einen kahlen Steinbruch zum Blühen bringen. Er plante, und er führte seine Pläne durch; und er musste das Vergnügen des Künstlers empfunden haben, der von einem reichen Klienten einen Auftrag bekommen hat. Hier war seine Idee eines Feenreichs. Teure Sträucher, für die große Schecks ausgeschrieben werden mussten, und seltene Pflanzen, die man vielleicht nur durch Beziehung bekommen konnte, und dann wieder kleine, unscheinbare Pflänzchen, die auch dazugehörten und so gut wie nichts kosteten. Es war ein hinreißend schöner Garten.
Er dachte über die Leute nach, die jetzt im Haus am Steinbruch wohnten. Er wusste ihren Namen, ein pensionierter Oberst und seine Frau, aber Spence hätte ihm wirklich mehr über sie erzählen können. Er hatte das Gefühl, dass die neuen Eigentümer nicht mit der Liebe an dem allen hier hingen wie Mrs Levin-Smith. Er erhob sich und ging ein Stückchen weiter. Es war ein sehr bequemer Weg, glatt und eben, offensichtlich so angelegt, dass ein älterer Mensch leicht darauf gehen konnte, und in passenden Abständen waren Bänke aufgestellt. Poirot dachte bei sich: Ich würde diesen Michael Garfield gern kennen lernen. Er hat hier etwas geleistet. Er versteht etwas von seinem Beruf, er ist ein ausgezeichneter Planer, und ich glaube, es ist ihm gelungen, seine Pläne so auszuführen, dass seine Auftraggeberin der Meinung sein musste, es seien ihre Pläne gewesen. Aber es waren nicht nur ihre, es waren größtenteils seine. Ja, ich würde ihn wirklich gern kennen lernen. Wenn er noch in dem Häuschen wohnt, das für ihn gebaut worden ist, dann – er hielt inne.
Er starrte. Starrte über die Mulde, die zu seinen Füßen lag, hinweg zu dem Pfad, der sie auf der andern Seite säumte. Starrte auf die Zweige eines bestimmten goldroten Strauchs, der etwas einrahmte, von dem Poirot einen Augenblick lang nicht genau wusste, ob es wirklich vorhanden oder nur eine Sinnestäuschung war, hervorgerufen durch das Spiel von Schatten, Sonne und Blättern.
Was sehe ich da?, dachte Poirot. Bin ich verzaubert? Möglich wär’s. Es geht etwas von diesem Park aus… etwas Magisches, Verzaubertes. Es ist wie die Szene in einem Theaterstück, hier sind die Nymphen, die Faune, hier ist klassische Schönheit, aber hier ist auch – Angst. Ja, dachte er, in diesem Garten ist die Angst. Was hatte Spence’ Schwester noch gesagt? Etwas von einem Mord, der vor vielen Jahren in dem früheren Steinbruch begangen worden war? Blut hatte an diesen Steinen geklebt, aber dann war alles in Vergessenheit geraten, Michael Garfield war gekommen und hatte hier einen Garten von einmaliger Schönheit geschaffen, und eine alte Frau, die nicht mehr lange zu leben hatte, hatte es bezahlt.
Jetzt sah er, dass es ein junger Mann war, der an der andern Seite der Mulde in einem Rahmen von goldenen und roten Blättern stand, und zwar ein junger Mann von ungewöhnlicher Schönheit – wenn man heutzutage so etwas überhaupt noch sagen durfte.
Poirot erhob sich und folgte dem Pfad um die Mulde herum. Als er die andere Seite erreicht hatte, trat der junge Mann unter den Bäumen hervor und ging ihm entgegen. Der Eindruck von Jugend schien das Auffälligste an ihm zu sein, obgleich er, wie man bei näherer Betrachtung sah, nicht mehr jung war. Er war über dreißig, vielleicht sogar näher an die Vierzig. Nur ein sehr schwach angedeutetes Lächeln lag auf
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