Schneewittchen-Party
an‹, nicht?«
»Ganz richtig. Du hast offensichtlich einen sehr guten Schulunterricht.«
»Alle sagen, dass Miss Emlyn eine sehr gute Lehrerin ist. Sie ist unsere Schulleiterin. Sie ist sehr streng, aber sie erzählt uns manchmal wahnsinnig interessante Sachen.«
»Dann ist sie in der Tat eine gute Lehrerin«, sagte Hercule Poirot. »Du kennst dich ja hier gut aus – du scheinst alle Wege zu kennen. Kommst du oft hierher?«
»O ja, das hier ist einer meiner Lieblingsspaziergänge. Dann weiß niemand, wo ich bin. Ich sitze in den Bäumen, auf den Ästen, und beobachte alles. Das macht mir Spaß. Zu beobachten, was alles vor sich geht.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Meist Vögel und Eichhörnchen. Vögel sind furchtbar zänkisch, nicht? Gar nicht so lieb, wie die Dichter immer tun. Und ich beobachte Eichhörnchen.«
»Und Leute?«
»Manchmal. Aber hier kommen nicht viel Leute her.«
»Warum nicht?«
»Sie fürchten sich wohl.«
»Warum sollten sie sich denn fürchten?«
»Weil hier vor langer Zeit mal jemand umgebracht worden ist. Ehe es ein Garten war. Früher war das hier ein Steinbruch, und hier war ein großer Kieshaufen oder Sandhaufen, und da drin ist sie dann gefunden worden. Glauben Sie, dass das alte Sprichwort stimmt, dass man dazu geboren wird, entweder zu hängen oder zu ertrinken?«
»Heutzutage wird niemand geboren, um zu hängen. In unserm Land wird niemand mehr gehängt.«
»Aber in andern Ländern. Sie werden sogar auf den Straßen gehängt. Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
»Aha. Hältst du das für gut oder für schlecht?«
Miranda schien die Frage nicht direkt zu beantworten, aber Poirot hatte das Gefühl, dass ihre Worte als Antwort gemeint waren.
»Joyce ist ertränkt worden«, sagte sie. »Mami wollte es mir nicht sagen, aber das ist doch ganz schön dumm, finden Sie nicht? Ich meine, ich bin schließlich zwölf Jahre alt.«
»War Joyce deine Freundin?«
»Ja. Auf eine Art war sie eine sehr enge Freundin. Manchmal hat sie mir tolle Sachen erzählt. Über Elefanten und Radschas. Sie ist mal in Indien gewesen. Dahin wäre ich auch gern mal gefahren. Joyce und ich haben uns immer alle unsere Geheimnisse erzählt. Ich kann aber nicht so viel erzählen wie Mami. Mami ist in Griechenland gewesen. Da hat sie Tante Ariadne kennen gelernt, aber ich war nicht mit.«
»Wer hat dir das von Joyce erzählt?«
»Unsere Köchin. Sie hat sich mit der Putzfrau unterhalten. Jemand hat ihren Kopf in einen Eimer Wasser gehalten.«
»Hast du eine Ahnung, wer das gewesen ist?«
»Ich glaube nicht. Sie schienen’s auch nicht zu wissen, aber sie sind beide eigentlich ziemlich dumm.«
»Weißt du es?«
»Ich war ja nicht da. Ich hatte Halsschmerzen und Fieber, und Mami wollte mich nicht mitnehmen. Aber ich glaube, ich könnte es wissen. Weil sie ertränkt worden ist. Deswegen habe ich gefragt, ob Sie glauben, dass man dazu geboren wird, zu ertrinken. Wir gehen hier durch die Hecke. Passen Sie auf Ihren Anzug auf!«
Poirot folgte ihr. Die Öffnung in der Hecke war eher für das zartgliedrige Kind, das ihn führte, angelegt. Sie war aber sehr besorgt um Poirot, warnte ihn vor Dornenbüschen und hielt stachlige Zweige zurück. Sie tauchten auf der andern Seite bei einem Komposthaufen wieder aus der Hecke auf, bogen bei einem verfallenen Gurkengestell um die Ecke, gingen an zwei Müllkästen vorbei und dann durch einen kleinen, gepflegten Garten, in dem hauptsächlich Rosen wuchsen, ins Haus. Miranda führte Poirot durch eine offene Terrassentür und meldete mit dem bescheidenen Stolz eines Sammlers, der sich gerade ein Exemplar eines besonders seltenen Käfers gesichert hat:
»Ich hab ihn.«
»Miranda, du hast Monsieur Poirot doch nicht etwa durch die Hecke geführt? Du solltest doch den Weg beim Seiteneingang nehmen.«
»Das ist aber ein besserer Weg«, sagte Miranda. »Kürzer und schneller.«
»Und sehr viel unangenehmer, fürchte ich.«
»Ich weiß nicht mehr«, sagte Mrs Oliver. »Ich habe Sie doch mit meiner Freundin Mrs Butler bekannt gemacht?«
»Natürlich. In der Post.«
Poirot hatte Mrs Butler dort nur sehr kurz gesehen und konnte sie sich jetzt in Ruhe betrachten. Judith Butler war etwa fünfunddreißig Jahre alt, und während ihre Tochter einer Elfe oder Nymphe ähnelte, erinnerte die Mutter mehr an eine Nixe. Sie hätte eine der Rheintöchter sein können. Langes blondes Haar hing ihr bis auf die Schultern, sie hatte ein zartes, langes Gesicht mit leicht eingefallenen
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