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Schneewittchen-Party

Schneewittchen-Party

Titel: Schneewittchen-Party Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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unruhig im Zimmer hin und her. Poirot fuhr erbarmungslos fort.
    »Wir stehen hier immer noch vor der Frage nach dem Motiv.«
    »Ich habe das Gefühl, dass so ein Verbrechen überhaupt kein Motiv haben kann.«
    »Vielleicht jemand, dem seine Sicherheit am Herzen lag?«
    »Sicherheit? Oh, Sie meinen – «
    »Am selben Tag hatte das Mädchen ein paar Stunden zuvor damit geprahlt, dass sie einmal einen Mord gesehen habe.«
    »Joyce«, sagte Mrs Drake mit ruhiger Entschiedenheit, »war ein sehr dummes, kleines Mädchen. Und, fürchte ich, nicht immer sehr wahrheitsliebend.«
    »Das sagen alle«, sagte Hercule Poirot. »Wissen Sie, ich fange langsam an zu glauben, dass etwas, was alle sagen, wahr sein muss.« Mit einem Seufzer fügte er hinzu: »Im Allgemeinen ist es nämlich so.«
    Er erhob sich.
    »Ich muss mich entschuldigen, Madame. Ich habe von schmerzlichen Dingen zu Ihnen gesprochen, Dingen, die mich eigentlich im Zusammenhang mit diesem Fall nichts angehen. Aber nach dem, was mir Miss Whittaker erzählt hatte, schien mir – «
    »Warum lassen Sie sich nicht noch mehr von ihr erzählen?«
    »Sie meinen -?«
    »Sie ist Lehrerin. Sie weiß doch viel besser als ich, was die Kinder, die sie unterrichtet, für Anlagen haben.«
    Sie schwieg einen Augenblick und fügte dann hinzu:
    »Oder Miss Emlyn.«
    »Die Schulleiterin?«, Poirot sah überrascht aus.
    »Ja. Sie kennt sich aus. Sie ist eine gute Psychologin. Sie haben gesagt, dass ich vielleicht ahnen könnte – eine noch nicht ganz fertige Vorstellung haben könnte –, wer Joyce getötet hat. Ich kann mir keine Vorstellung machen – aber Miss Emlyn vielleicht.«
    »Das ist ja sehr interessant…«
    »Ich meine nicht, dass sie Beweise hat. Ich meine, dass sie es einfach weiß. Sie könnte es Ihnen sagen – aber ich glaube nicht, dass sie’s tun wird.«
    »Mir wird langsam klar«, sagte Poirot, »dass ich noch einen langen Weg vor mir habe. Die Leute wissen etwas – aber sie erzählen es mir nicht.« Er sah Rowena Drake nachdenklich an.
    »Ihre Tante, Mrs Levin-Smith, hatte ein Au-pair-Mädchen, das für sie sorgte, eine Ausländerin.«
    »Sie scheinen den ganzen Ortsklatsch zu kennen.« Rowenas Ton war trocken. »Ja; stimmt. Sie hat den Ort sehr bald nach dem Tod meiner Tante verlassen.«
    »Aus gutem Grund, scheint es.«
    »Ich weiß nicht, ob das, was ich jetzt sage, Verleumdung oder üble Nachrede ist – aber es scheint festzustehen, dass sie ein Kodizill zum Testament meiner Tante gefälscht hat – oder dass ihr jemand dabei geholfen hat.«
    »Jemand?«
    »Sie war mit einem jungen Mann befreundet, der bei einem Rechtsanwalt in Medchester arbeitete. Er war schon einmal in eine Fälschung verwickelt gewesen.«
    »Ich danke Ihnen für alles, was Sie mir erzählt haben, Madame«, sagte er.
    Nachdem Poirot das Haus verlassen hatte, bog er von der Hauptstraße in einen Seitenweg ein, der den Namen ›Kirchhofsweg‹ trug. Der Kirchhof ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Er war offensichtlich erst in den letzten zehn Jahren angelegt worden, wahrscheinlich um mit der anwachsenden Bevölkerung von Woodleigh Common Schritt zu halten. Die Kirche, ein größerer, etwa zwei- bis dreihundert Jahre alter Bau, war von einem kleinen, voll ausgenutzten Friedhof umgeben. Ein Pfad führte über zwei Felder zum neuen Friedhof. Es war, dachte Poirot, ein sachlicher, moderner Friedhof mit passenden Sprüchen auf Marmor- oder Granitgrabsteinen, mit steinernen Urnen, Gemeißeltem und kleinen Blumen- und Strauchanpflanzungen. Ohne interessante alte Inschriften. Nichts für einen Antiquar. Sauber, gepflegt, ordentlich.
    Er blieb stehen, um einen Grabstein zu betrachten. Er trug eine schlichte Inschrift. »Hier ruht Hugo Edmund Drake, gestorben am 20. März 19. Ruhe in Frieden!«
    Noch von seiner letzten Begegnung mit der dynamischen Rowena Drake beeindruckt, kam Poirot der Gedanke, dass Ruhe und Frieden dem Verstorbenen nicht unwillkommen gewesen sein konnten.
    Auf dem Grabstein stand eine Urne aus Alabaster, die Blumenreste enthielt. Ein älterer Gärtner, der offensichtlich für die Grabpflege angestellt war, ließ Hacke und Besen sinken und kam auf Poirot zu, in der freudigen Hoffnung auf eine Unterhaltung.
    »Sie sind hier fremd, Sir?«, sagte er.
    »Sehr wahr«, sagte Poirot. »Ich bin ein Fremdling unter euch wie meine Väter vor mir.«
    »Ah ja. Den Spruch haben wir auch oder was sehr Ähnliches. Dort drüben, in der andern Ecke.« Er fuhr fort: »War ein netter

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