Schneewittchens Tod
Priestergewand halten.«
Gaelle blickte von ihrem Roman auf.
»Glaubst du, das ist einer von diesen pädophilen Priestern?« »Auf jeden Fall sieht er so aus.«
»Hast du irgendein auffälliges Verhalten in Gegenwart der Kinder bemerkt?«, fragte Chib und stützte sich auf einen Ellenbogen.
»Nein«, musste Aicha widerwillig zugeben. »Genauer gesagt, spricht er kaum mit den Kindern; er hängt ständig nur bei Madame herum.«
»Meinst du, er legt sie aufs Kreuz?«, fragte Gaelle mit gespielter Empörung.
»Das würde mich wundern, wo sie doch nur Augen für ihren Jean-Hugues hat. Und ich würde es mir verkneifen, ihn zu betrügen. Der ist nämlich nicht von der super-coolen Sorte, weißt du.«
Gaelle legte ihr Buch beiseite und wandte sich zu Chib.
»Warum stellst du all diese Fragen über das Mädchen. Denkst du an Kindesmisshandlung?«
So, jetzt war es ausgesprochen.
»Ich weiß nicht. Ich hab mich nur manchmal gefragt …«
»Kindesmisshandlung? Sagt mal, ihr tickt wohl nicht richtig!«, protestierte Aicha. »Niemand hat je die Hand gegen Elilou erhoben!«
»Manchmal geschieht so was unbemerkt, im Verborgenen, Wir haben neulich ein paar schreckliche Fälle in der Uni durchgenommen«, erwiderte Gaelle mit gerunzelter Stirn. »Frauen, die ihre Kinder heimtückisch vergiften oder systematisch Unfälle provozieren. Man spricht von Münchhausen-Syndrom.«
»Du spinnst!«
»Ich nicht, aber deine Blanche Andrieu scheint mir nicht ganz dicht.«
»Sie würde keinem ihrer Kinder je etwas antun! Sie ist superkatholisch!« »Ein Grund mehr, was, Chib?«
Er zuckte die Schultern. Wer konnte sagen, wozu eine Frau wie Blanche Andrieu fähig war oder nicht? Und wer konnte sagen, was Chib Moreno gern mit ihr angestellt hätte oder nicht?
»Verletzen sich die anderen Kinder auch oft?«, beharrte Gaelle, offensichtlich interessiert an dem Thema.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Hat sich einer von ihnen schon mal was gebrochen?«
Aicha dachte kurz nach.
»Ich glaube nicht. Aber das will nichts heißen. Ich sagte doch, Elilou war sehr ungeschickt.«
Gaelle wandte sich an Chib, wie an einen Komplizen.
»Das sagt man immer bei misshandelten Kindern. >Er ist ausgerutscht, er ist die Treppe hinuntergestürzt …«
»Hör auf!«, protestierte Aicha. »So ist sie umgekommen, die arme Kleine.«
»Hat Cordier die Leiche untersucht?«, fragte Chib und setzte sich auf.
»Er wurde sofort gerufen; ich habe das Telefonat geführt. Reich mir den Wein rüber, danke, Gaelle.«
Aicha trank einen Schluck und fuhr fort: »Es war halb sieben, ich war gerade aufgestanden, und gehe in die Küche, um zu frühstücken, ich kümmere mich nicht ums Essen, das macht die Köchin, Colette. Gut, also ich gehe durch die große Eingangshalle, es ist dunkel, ich habe kein Licht gemacht, und ich sehe etwas am Fuß der Treppe liegen. Ein Haufen Wäsche. Nur während ich mir das sage, weiß ich ganz genau, dass es kein Haufen Wäsche ist, das ist manchmal komisch. Ich trete also näher, ich spüre, wie mein Herz hämmert, ich weiß noch nicht, dass es Elilou ist, aber ich bin wie krank, und dann plötzlich sehe ich sie. Sie liegt auf dem Bauch, aber … oh, Scheiße … aber ihr Kopf . weil ihr Kopf verdreht ist, sieht er mich an, obwohl sie auf dem Bauch liegt; ich spüre, wie mir die Knie weich werden, weil ich all das gleichzeitig denke, dass der Kopf verdreht ist und dass sie mich nicht richtig ansieht, weil ihre Augen wie aus bemaltem Glas sind, geöffnet und starr. Wenn ich nur daran zurückdenke, wird mir ganz übel.«
Niemand sagte etwas. Gaelle füllte erneut die Gläser. Gregs Flossen schlugen aufs Wasser. Aicha strich sich durchs Haar und über die Schläfen. Gaelle beugte sich zu ihr vor: »Und was hast du gemacht? Hast du geschrien? Bist du in Ohnmacht gefallen?«
»Nein. Nein, ich habe nicht geschrien, ich bin nicht in Ohnmacht gefallen. Komisch, aber ich bin, als ich begriffen habe, dass sie tot ist, plötzlich ganz ruhig geworden. Ich bin zunächst in Andrieus Arbeitszimmer gelaufen, um die Nummer von Cordiers Handy zu suchen, und habe ihn angerufen. >Verdammt, das darf nicht wahr sein!<, und dann: >Ich komme!<, und ich hörte ihn noch murmeln: >Mein Gott, die arme Blanche!< Dann habe ich es Colette gesagt, die anfing, laut zu schreien, und ich hab ihr gesagt, sie soll sich zusammenreißen, dass es nicht der passende Augenblick ist, und dann bin ich raufgegangen. Und dann hatte ich solchen Schiss, ihnen das sagen zu müssen, dass
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