Schneewittchens Tod
bekam keine Luft, hatte Kopfschmerzen und trotz des Kaugummis einen üblen Geschmack im Mund. Er griff nach seinem Köfferchen, einem schwarzen Modell mit Metallrahmen, versuchte, zwanzig Mal tief durchzuatmen, hörte jedoch beim elften Mal auf, stieg aus und klingelte.
Aicha öffnete das Tor. Sie sah schlecht aus, hatte Ringe unter den Augen.
»Wir haben gestern wirklich zu viel getrunken! Ich hab vielleicht einen Kater! Du nicht?«
Er nickte.
»Ein bisschen.«
»Und Gaelle, ist sie gut nach Hause gekommen?«
»Ich glaube, ja«, sagte er ausweichend.
»Versuch gar nicht erst, zu lügen, sie hat mich nämlich angerufen!«
Dieses Mitteilungsbedürfnis der Frauen! Ein angeborener Defekt! Er folgte ihr über den Kiesweg und fragte sich, was wohl die Kommentare von Gaelle gewesen sein mochten. »Er taugt nicht viel«, »nett, aber ein bisschen weich, weißt du …«, »er gibt sich Mühe«. Das wäre das Schlimmste. So was wie: »fleißiger Schüler, doch leider unbegabt«. Er zuckte die Schultern. »Nicht verklemmt, der Typ, nein, überhaupt nicht!«
Mehrere Wagen parkten auf dem Vorplatz. Er erkannte den nachtblauen Peugeot von Belle-Mamie, der Schwiegermutter.
»Wer ist schon da außer der Großmutter?«, fragte er leise.
»Alle, außer Cordier. Der Priester, die Labarrieres - das sind Freunde von ihnen -, Chassignol - der Kompagnon von Andrieu - mit seiner Pute, und die Osmonds, das sind Nachbarn.«
»Hat Blanche keine Eltern mehr?«
»Verstorben. Sie hat noch eine alte Tante, die aber nicht mehr reisen kann.«
Er legte ihr die Hand auf den Arm, ganz leicht nur, und deutete auf sein Köfferchen.
»Ich muss noch mal in die Kapelle.«
Aichas Züge verdüsterten sich.
»Eine letzte Überprüfung, ich will nicht, dass es später Probleme gibt, das wäre wirklich unangenehm«, erklärte er vage. »Gib ihnen Bescheid, dass ich dort bin und dass sie besser nicht kommen, okay?«
»Aber wenn Andrieu .«
»Er hat sicher keine Lust, der Totenpflege von Elilou beizuwohnen. Sag ihm also, dass ich komme, sobald ich fertig bin.«
»Das wird ihm nicht recht sein .«
»Er hat mich bezahlt, damit ich meine Arbeit tue, und ich tue sie. Lässt sich die Kapelle abschließen?«
Sie waren vor dem Portal angelangt.
»Innen steckt ein großer Schlüssel; ich weiß nicht, ob er noch funktioniert. Kirchendiebe sind ja ziemlich selten«, sagte Aicha und eilte zum Haus.
Er stieß die Tür auf. Wieder dieser Geruch nach Staub, nach Erde, nach Kälte und nach Moder. Man hatte eine violette, goldbefranste Samtdecke über das Gestell gelegt. Darauf, vor dem für die Messe geschmückten Altar, stand der gläserne Sarg.
Chib schloss die Tür hinter sich und betätigte den großen, schweren Eisenschlüssel. Er ließ sich drehen. Perfekt. Er hatte wenig Zeit. Er öffnete sein Köfferchen, holte die Palette mit Schminke heraus, sozusagen als Alibi, streifte seine Latexhandschuhe über, mit dem Gefühl, ein Verbrechen zu begehen. Dann hob er den Deckel.
Elilou lag da, die Lider geschlossen, die blonden Locken ausgebreitet, die Hände auf der Brust gefaltet, die Beine geschlossen, die Lippen mit Spezialkleber versiegelt.
Mit trockenem Mund und hämmerndem Herzen ließ er die Hand zwischen die dünnen Schenkel gleiten, vermied dabei, auf die Lider zu blicken, und unterdrückte den Impuls, auf der Stelle die Flucht zu ergreifen. Seine Fingerspitzen berührten widerwillig das Höschen der Kleinen und glitten darunter.
Du darfst das nicht tun, Chib, du kannst das nicht an der Leiche eines kleinen Mädchens tun. Aber er musste es wissen.
Schritte auf dem Kies. Eine Tür, die zugeschlagen wurde. Schnell! Er steckte den behandschuhten Mittelfinger in das Geschlecht, das hermetisch verschlossen schien. Wie viele Jahre Knast konnte man sich mit einer Sache wie dieser einhandeln? Leichenschändung? Fünf?
Er schob den Finger tiefer hinein, die Schritte kamen näher, eine Stimme, schnell, um Himmels willen!
Er zog die Hand zurück, brennend vor Scham, legte die kleinen Beine wieder zusammen, streifte das Kleid herunter, lief zur Tür, um den Schlüssel in dem gewaltigen Schloss zu drehen, zog seinen Handschuh aus und schloss seinen Koffer, als Jean-Hugues Andrieu mit finsterer Miene erschien.
»Aicha sagte, Sie wollten eine letzte Überprüfung vornehmen?«, sagte er mit eisiger Stimme.
»Ja, ich wollte mich überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Manchmal . gewisse Details . da ist es ratsam .«
Er ließ den Satz in der
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