Schneewittchens Tod
Jenseits an. Das Ba ist sozusagen unsere Seele. Sie entfliegt bei unserem Tod und kann manchmal auf die Erde zurückkommen und sich an den geliebten Orten aufhalten. Und das Akh ist eine Art von leuchtendem und unsterblichem Geist mit einer kleinen diabolischen Seite.«
»Dummes Geschwätz!«, rief Pater Dubois.
»Ich finde das nicht weniger seltsam als das Mysterium der Dreifaltigkeit«, gab Chib in liebenswürdigem Ton zurück.
»Ah, die Heilige Dreifaltigkeit!«, stimmte Clotilde zu. »Welch verwirrende Lehre. Mein Mann ist Anglikaner. Und ich fühle mich, wenn ich ehrlich bin, stark vom Buddhismus angesprochen - verzeihen Sie, Pater.«
»Eine Religion ohne Gott. Sicher das Ideal einer Gesellschaft, die keine Herren will«, sagte der Pater.
Clotilde runzelte die Stirn.
Chib griff nach einem Röllchen Parmaschinken mit einem Stück Kiwi darin und nutzte die Gelegenheit, etwas beiseite zu treten. Clotilde und Pater Dubois stürzten sich jetzt in eine heiße Debatte über den Niedergang der Spiritualität in der westlichen Welt, während sich Chib unauffällig der Fensterfront näherte, bis er neben Blanche stand, die sich nicht von der Stelle bewegt hatte, die Hände um einen Becher mit Mercurey geklammert, aus dem sie noch nicht getrunken hatte.
Er schenkte sich etwas Wein ein und tat so, als betrachtete er das Bild an der Wand - eine toskanische Landschaft mit Ruinen und Olivenbäumen.
»Ich habe gehört, was Sie über die Seelen gesagt haben. Über das, was Sie Ba nennen.«
Sie hatte gesprochen, fast ohne dabei die Lippen zu bewegen.
»Diese Art von ätherischer Seele, die an geliebte Orte zurückkehren kann. Aber ist das ein Phantom? Oder … nur eine Präsenz, etwas Wirkliches?«
Er schluckte.
»Sie sollten sich solche Dinge nicht vorstellen.«
»Dann hätten Sie erst gar nicht darüber reden sollen.«
»Phantome existieren nicht. Wir sind nicht einmal sicher, ob wir eine Seele besitzen.«
»Der gute Dubois wäre entzückt, das zu hören.«
»Lassen Sie sich nur nicht in dieses Affentheater um den Spiritualismus hineinziehen.«
»Nach dem Tod von Leon habe ich eine Hellseherin aufgesucht. Ich weiß, es ist idiotisch, aber ich musste es tun. Sie sagte mir, dass er dort oben bei Gott glücklich sei. Dass er an uns denke. Dass er uns liebe. Aber ein Baby kann noch nicht lieben, nicht wahr?«, fügte sie hinzu und sah ihn an. »Ein Baby hat Bedürfnisse, das ist alles. Und wenn es allein ist, dann leidet es.«
Er tauchte seinen Blick in den ihren.
»Die Toten leiden nicht. Das Leiden ist den Lebenden vorbehalten. Die Toten ruhen in Frieden, weil sie nichts mehr spüren.«
»Was wissen Sie schon davon? Nur weil Sie eine Art Schlächter der Verstorbenen sind, verfügen Sie noch lange nicht über die Wahrheit.«
Chib spürte, wie sich seine Finger um dem hübschen gelben Becher klammerten. Mit welchem Recht redete sie so mit ihm? Der Schmerz verwirrte sie! Der Schmerz oder die Überheblichkeit des Großbürgertums?
»Blanche, Liebes, isst du gar nichts?«
Andrieu, die Augen eingesunken, die Wangen rot gefleckt, überragte sie mit seiner Körpergröße.
»Ich habe keinen Hunger. Wir unterhalten uns über Religion.«
»So, gut, gut. Der Glaube ist unser einziger Trost. Aber im Augenblick neige ich eher dazu, alles hier zum Teufel zu schicken«, fügte er verbittert hinzu.
Keiner von beiden hat das Kind umbringen können, dachte Chib. Sie lieben es ohne Zweifel, sie lieben es und leiden entsetzlich. Wie hatte er sich nur vorstellen können …
Vibration des Handys an seiner Hüfte.
Er deutete auf den Apparat und trat in den Garten. Es war Gaelle.
»Wie geht's?«
»So lala. Und deine Autopsie?«
»Ein alter Clochard. Eine Leber wie eine Stopfgans. Ekelhaft. Und die Kleine?«
Er fühlte, wie sich sein Puls beschleunigte. Er hatte keine Lust zu antworten. Aber er sagte: »Ich glaube, dass . das heißt, ich will sagen … ich habe kein Hymen gespürt.«
»Wenn du keines gespürt hast, dann gab es auch keines.«
»Aber das ist unmöglich!«
»Hast du Organe entnommen? Gewebe?«
»Ja, warum?«
»Ich würde das gern untersuchen. Kann ich morgen bei dir vorbeikommen?«
»Okay. Das wird ein heiterer Sonntag.«
»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Du wirst schon nicht zu kurz kommen.«
Sie hatte bereits aufgelegt. Da haben wir's, der Mann als Lustobjekt einer jungen ungehemmten Studentin. Er trat wieder in den Empfangsraum. Blanche bedachte John Osmond, der sie zu ihren Pflanzen
Weitere Kostenlose Bücher