Schneewittchens Tod
sie.
»Das ist ganz normal«, versicherte ihr Cordier und warf einen Blick auf seine Uhr. »Entschuldigen Sie, ich muss telefonieren . der Infarkt .«
»Glauben Sie nicht, dass Blanche ausspannen sollte?«
»Gewiss.«
»Das heißt, ich dachte eher an ein Sanatorium.«
Er musterte sie plötzlich aufmerksam.
»Sorgen Sie einfach dafür, dass sie nicht allein mit den beiden Kleinen bleibt. Sie ist nicht in der Lage, sich richtig um sie zu kümmern, vor allem um Eunice«, sagte er und verschwand im angrenzenden Salon.
Chib hatte den Eindruck, seine Ohren seien gespitzt wie die eines Jagdhunds; er war so verkrampft, dass sein Kiefer schmerzte.
Andrieu hatte also Autoritätsprobleme bei seinen Söhnen. Und er vertrug es ganz offensichtlich nicht, wenn sich seine Mutter in seine Ehe einmischte. Belle-Mamie wollte Blanche in die Psychiatrie einweisen lassen. Cordier stopfte alle voll mit allen möglichen Anxiolytika, Antidepressiva und Hypnotika. So, so. Man warf also einen Blick hinter die Kulissen eines hübschen kleinen Gesellschaftsdramas. Man entdeckte den Koffer mit der Verkleidung, den Masken, den Accessoires. Und Pater Dubois, der mit Jugendlichen arbeitete, erschwerte noch die Lage. Er musste genauer unter die Lupe genommen werden. Und Noemie Labarriere mit ihrer »unerklärlichen Depression«. Hatte sie vielleicht herausgefunden, dass ihr Mann die kleine Elilou vergewaltigte? Und dieser so anständige Paul Labarriere, hatte er nicht einen verschwommenen Blick und ein weichliches Kinn? Hm. Die verdächtige Miene des ehrlichen Bourgeois?
»Die Familie …«, seufzte Belle-Mamie, die ihm plötzlich sehr alt vorkam. »So viele Freuden und so viel Leid …«
»In diesen extrem schmerzvollen Zeiten, die Sie durchmachen, ist man natürlich geneigt, alles, was Lebenskraft gibt, aus den Augen zu verlieren. Doch das heißt nicht, dass es nicht existiert.«
»Wie Recht Sie haben!«, rief sie plötzlich. »Genau das versuche ich, Blanche klarzumachen. Aber …«
»Es heißt, der Schmerz einer Mutter sei tiefer als der Ozean und finsterer als die Nacht.«
Chib Moreno, der Phrasendrescher!
»Eine Mutter ist auch für diejenigen verantwortlich, die bleiben«, bemerkte Belle-Mamie mit einem falschen Lächeln, das wohl ihre Aussage mildern sollte. »Eine Mutter kann es sich nicht erlauben, sich im Ozean ihres Schmerzes zu verlieren, um mit Ihren Worten zu sprechen, weil sonst die ganze Familie untergeht.«
»Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, Louise, würde ich Ihnen gern von der nächsten Mission in Afrika erzählen.«
Pater Dubois war unvermittelt aufgetaucht, sein Glas Perrier in der Hand. Er roch nach Eau de Cologne. Seine neugierigen Äuglein wanderten über Chibs Gesicht, der Lust hatte, sie zu vertreiben wie lästige Fliegen.
»Entschuldigen Sie, ich habe Sie unterbrochen«, fügte er seelenruhig hinzu.
»Wir sprachen von der Bedeutung der Werte innerhalb der Familie«, gab Belle-Mamie zurück. »Monsieur Moreno legt großen Wert darauf, wie wir.«
Stell dir mal vor, ein Mohr!
»Das gereicht Ihnen zur Ehre, Moreno, Sie gestatten doch, dass ich Sie Moreno nenne? Heutzutage neigen die Menschen dazu, nicht mehr selbstständig zu denken. Sie lassen sich vom allgemeinen Trend treiben wie ein Korken von der Strömung.«
Chib stimmte zu, ohne sich etwas zu vergeben. Er hatte sehr oft den Eindruck, ein Korken aus Ebenholz zu sein, hin und her geworfen von seinen eigenen Gefühlen und den Zufälligkeiten des Lebens, unfähig, zu entscheiden, welche Richtung er einschlagen sollte.
»Alles ist abhängig vom schnöden Mammon«, fügte der Priester zornig hinzu.
»Immer noch Ihre Gleichheits-Obsessionen, Josselin!«, rief Belle-Mamie dazwischen. »Sie vergessen, es sind unsere Werte, die Frankreich zu dem gemacht haben, was wir lieben.«
»Eine Metze im Bett der Multis«, knurrte Dubois und hielt sein Glas umklammert.
»So reden Sie doch bitte nicht von Dingen, die Sie nicht kennen .«
Die alte Zicke! Aus den Augenwinkeln sah Chib, wie Clotilde Osmond ihren x-ten Becher leerte und sofort wieder füllte. Ihr Mann hatte sich endlich von Blanche gelöst und war jetzt in die Betrachtung der Stereoanlage vertieft, wobei er ein Spießchen mit Hühnerfleisch in Zitronengras verzehrte. Chib überließ Pater Dubois und Belle-Mamie ihren Streitereien.
Nachdem er einen Blick über die Versammlung hatte gleiten lassen, ließ er sich langsam hin zu Blanche treiben. Sie stand immer noch an der Terrassentür, die trotz der
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