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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Hände. Andrieu hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt. Die Osmonds starrten beharrlich auf den Boden, die Labarrieres ostentativ in die Luft.
    Die kleine Prozession bewegte sich zur Kapelle, nur das Knirschen des Kieses unterbrach die Stille. Chib, die Nerven aufs Höchste angespannt, atmete mühsam.
    Sie traten in die Kapelle und nahmen auf den Bänken Platz, die zu diesem Anlass frisch eingewachst worden waren. Jeder reckte diskret den Hals, um den gläsernen Sarg und die Leiche, die darin ruhte, besser sehen zu können. Die Pute verbarg ihr Gesicht an der muskulösen Brust von Chassignol. Noemi e Labarriere bekreuzigte sich. Clotilde Osmond begann, in dem Messbuch vor sich zu blättern. Belle-Mamie, neben ihrem Sohn, betupfte ihre Augen. Blanche hielt zitternd den Betstuhl umklammert. Die Männer standen reglos da, den Blick ins Leere gerichtet, starr wie Wachposten. Pater Dubois legte die violette Stola über seine Schultern und trat vor den Altar.
    Jetzt kamen die Kinder im Gänsemarsch herein, angeführt von einer völlig aufgelösten Aicha. Eunice, strahlendes Lächeln, gefolgt von einer Annabelle mit tränenverquollenen Augen, und von Louis-Marie im marineblauen Blazer, steif und feierlich. Der aschfahle Charles beschloss den Marsch. Sie nahmen auf der für sie reservierten Bank hinter ihren Eltern, direkt vor Chib Platz. Aicha setzte sich neben die kleine Eunice.
    »Meine sehr lieben Brüder, meine sehr lieben Schwestern, wir sind hier versammelt …«
    »Warum ist Elilou in der Glaskiste?«, krähte Eunice.
    »Scht, Liebling, man spricht nicht während der Messe!«, sagte Andrieu, der sich, den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, umgedreht hatte.
    »Wir sind hier aus einem sehr traurigen Anlass versammelt .«
    »Ich muss Pipi machen!«
    »Halt den Mund!«, zischte ihr Louis-Marie zu. »Halt den Mund, oder es passiert was!«
    »Du Böser! Ich sage es Maman!«, flüsterte die Kleine und schmiegte sich in den Arm von Aicha, die den Tränen nahe schien.
    ». von Elisabeth-Louise, deren reine und unschuldige Seele .«
    Rein und unschuldig … Chib ballte die Hände zu Fäusten.
    ». unser großer Kummer .«
    Plötzlich ein raues Schluchzen. Er kam von Winnie-der-Pute, die die Augen verdrehte. Sie murmelte »Entschuldigung« und schnäuzte sich geräuschvoll.
    Belle-Mamie, die kerzengerade dasaß, warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Die Osmonds fixierten jetzt verbissen ihre Füße. Paul Labarriere hatte die Augen geschlossen. Noemie hielt ihre starr auf den Priester gerichtet, damit sie nicht zu dem gläsernen Sarg wanderten.
    Chib sah, dass die Hände von Charles zitterten. Der Junge weinte nicht, war aber rot geworden. Louis-Marie hatte eine steinerne Miene aufgesetzt, die Lider gesenkt, die Lippen zusammengepresst, so dass sie nur noch einen Strich bildeten. Annabelle wippte mit den Beinen, immer schneller, und klapperte mit den Zähnen. Eunice, fest an Aicha gedrückt, lutschte wie wild an ihrem Daumen, die Augen groß wie Untertassen.
    Von heftigen Schauern geschüttelt, schien Blanche der Ohnmacht nahe.
    ». weil wir an die Wiederauferstehung glauben .«
    Ich nicht, dachte Chib bei sich, o nein, die Schlächter und die Totengräber glauben nicht an die Wiederauferstehung.
    »Lasset uns beten! Vater unser, der du bist im Himmel .«
    Gemurmel von schwachen Stimmen, Räuspern, Husten. Chib öffnete den Mund im Takt, ohne jedoch Laute von sich zu geben. Er betete nicht gerne. Er bemerkte, dass Charles die Lippen beharrlich geschlossen hielt, den Blick auf den großen hölzernen Christus über dem Altar gerichtet. Ein Blick voller Groll und Zorn. Gegen einen so grausamen Gott?
    Dubois hob die Hostie, dann den Kelch mit dem Messwein.
    »Es ist groß, das Mysterium des Glaubens«, und das des Todes erst recht, dachte Chib und musste immer wieder einen Blick auf Elilou werfen, die so artig in ihrem gläsernen Käfig lag. Auch Louis-Marie betrachtete seine Schwester und murmelte dabei etwas vor sich hin. Chib wäre fast zusammengezuckt. Er hatte »Fuck you« von seinen Lippen abgelesen. An wen mochten die Worte gerichtet sein? An ihn, Chib? An den Priester? An Gott? Oder an den, der seine Schwester ermordet hatte? Langsam leidest du unter verfrühter Altersdementia, Chib. Wenn der Junge Bescheid wüsste, hätte er doch wohl mit seinen Eltern gesprochen, glaubst du etwa nicht? Es sei denn, sein Vater wäre der Vergewaltiger und Mörder. Aber dass Jean-Hugues Andrieu es war, der Elilou missbraucht und ihr dann

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