Schneewittchens Tod
rutschte auf seinem Stuhl hin und her und knackte mit den Fingergelenken.
»Willst du noch etwas? Ich komme um vor Durst.«
»Nein, danke. Und dann?«
»Dann nichts. Er ist rausgegangen, ich habe geduscht, mich angezogen und bin abgehauen. Genau in dem Augenblick, als seine Frau kam.«
»Was hat er zu ihr gesagt?«, fragte Chib und starrte mit der Intensität eines antiken Tragöden auf seine Olive.
»>Warst du einkaufen?<, irgendwas in dem Stil, >Was hast du gekauft?<, und sie: >Wieso bist du schon da?<, >Ich wollte früher kommen, ich wollte dich sehen< - wie ein Lustspiel im Fernsehen, ich habe mich gefragt, ob sie ihn nicht betrügt.«
Die Olive fiel Chib aus der Hand und rollte über den feucht glänzenden Bürgersteig.
»Und ich frage mich«, fuhr Greg mit vollem Mund fort, »ob nicht auch er sich das fragt, wenn du verstehst, was ich meine. Die Frau schien nicht ganz sauber. Und er scheint eine echte Nervensäge zu sein. Einer, der sie gerne an der Leine hält.«
Das unangenehme Bild einer Blanche auf allen vieren an einer Leine aus nagelbeschlagenem Leder drängte sich Chib auf.
»Ich hoffe, Aicha bekommt keine Schwierigkeiten«, sagte er.
»Aber nein, sie hat mir versichert, dass alles in Ordnung ist … Sie brauchen sie viel zu sehr mit den Kindern und allem … Verdammt, sie hat mir die Kleine in ihrem Glaskasten gezeigt, das ist wirklich zu widerlich, Mann, ich musste fast kotzen. Hier, siehst du, allein bei dem Gedanken bekomme ich Gänsehaut!«
Er zeigte seinen muskulösen Unterarm mit den blonden, aufgerichteten Haaren.
»Schlimmer als ein Horrorfilm. Ich hatte das Gefühl, als wären jede Menge Irre mit Kettensägen hinter meinem Rücken versteckt. Man muss wirklich verrückt sein, um so was zu machen.«
»Was? Sein Kind einzubalsamieren?«
»Allein das schon, aber vor allem es auszustellen, als wäre sie eine . ich weiß nicht . wie die Vogelspinne, die meine Mutter unter einer Glasglocke aus Mexiko mitgebracht hat, verstehst du? Eine verdammte Erinnerung von der großen Reise.«
Er verstummte und trank sein Bier aus, seine Züge verdunkelten sich bei dieser existenziellen Frage. Chib trank einen kleinen Schluck Martini, sein Magen krampfte sich vor Angst zusammen. Wenn Andrieu etwas ahnte . Aber Andrieu musste andere Sorgen haben als die eventuelle Untreue seiner Frau. Andrieu war ein von Kummer überwältigter Vater. Ein Vater, der - nach dem Tod des kleinen Leon vor zehn Jahren -gerade sein zweites Kind verloren hatte. Eine erhebliche Sterblichkeitsrate für eine wohlhabende Familie. Eine harmonische Familie. So harmonisch, dass es Blanche mit dem Einbalsamierer ihrer Tochter trieb, den sie seit knapp zwei Wochen kannte. Eine vorübergehende psychische Krise? Oder eine ständige Verhaltensstörung. Was verbarg sich hinter der Fassade der ehrwürdigen Familie Andrieu? Ein homosexueller Sohn, zwei Leichen, eine nymphomane Mutter?
»… auf alle Fälle ist der Doktor, dieser Cordier, ganz schön hinter Aicha her«, sagte Greg, während er sein zweites Bier schlürfte.
»Wie bitte?«
»Hörst du vielleicht hin und wieder zu? Ich habe gesagt, dass dieser Arzt gegen Mittag vorbeigekommen ist. Er hat geklingelt, aber wir haben nicht aufgemacht. Der Typ, der rein zufällig an eben dem Tag vorbeikommt, wenn Aicha allein zu Hause ist … Er war äußerst beharrlich, dann ist er wütend abgezogen.«
»Ich darf dich darauf aufmerksam machen, dass er bestimmt den Floride hinter dem Gitter gesehen hat. Und er weiß, dass es mein Wagen ist.«
»O verdammt, er muss geglaubt haben, dass du mit Aicha rummachst, der alte Lustmolch wird dich hassen!«
Plötzlich wurde Chib bewusst, dass auch Andrieu den Floride im Hof gesehen hat. Er hat also daraus schließen müssen, dass Greg ein Freund des guten Monsieur Moreno war. War der gute Monsieur Moreno ebenso lüstern wie dieser blonde behaarte Schönling? Teilten sie sich die Frauen des Hauses? Der Blonde für die Dunkelhaarige, der Dunkelhaarige für die Blonde . Eine unvollendete Partitur für mechanischen Beischlaf. Aber nein, warum, zum Teufel, sollte sich Andrieu so etwas vorstellen?
Bsss.
Vibrieren in seiner Gesäßtasche. Das Handy. Er zog es hervor und betrachtete es ohne Begeisterung. Der Apparat vibrierte und blinkte.
»Hallo?«
»Monsieur Moreno?«
»Am Apparat.«
»Hier spricht Noemie Labarriere. Wir haben uns getroffen … beim .« »Ja, ich erinnere mich sehr gut.«
»Ich brauche ihre Dienste, ich habe meinen kleinen Scotty
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