Schneewittchens Tod
öffnen.
Ein verstörter Andrieu, der Hemdkragen offen, starrte sie an.
»Warum schließen Sie sich hier ein?«
»Elilou ist wieder da«, fiel Dubois mit beschwichtigender Stimme ein. »Wir wollten dir gerade Bescheid sagen.«
»Was erzählst du da?«, schrie Andrieu und stieß ihn zur Seite.
Als er den Körper seiner Tochter in dem Sarg liegen sah, erstarrte er.
»Wie ist das möglich? Wer hat sie zurückgebracht?«, stammelte er.
»Wir wissen es nicht. Es gab auch einen Akt von Vandalismus«, fügte Gaelle hinzu und deutete auf das an die Mauer gelehnte Kreuz.
»Was soll dieses Theater? Was hat das alles zu bedeuten?«
Andrieu ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Wurde der Körper . wurde er geschändet?«, stieß er mit geschlossenen Augen hervor.
»Offenbar nicht«, erwiderte Gaelle mit fester Stimme.
Na bitte, sagte sich Chib, wenn bei einer Untersuchung festgestellt würde, dass Elilou entjungfert war, würde man das dem Leichendieb zuschieben.
Außer, man würde dich beschuldigen, säuselte plötzlich eine grässliche kleine Stimme in seinem Inneren. Der perverse Einbalsamierer mit den Handschuhen und dem Penis aus Gummi. Er blinzelte. Die Arme um die gläsernen Wände gelegt, beugte sich Andrieu über die Leiche seiner Tochter. Plötzlich erstarrte er und wandte sich um.
»Sie hat die Augen geöffnet«, stammelte er. »Mein Gott, Dubois, sie hat die Augen geöffnet!«
»Das ist ein Reflex«, versicherte Chib eilig, »sicherlich, weil der Körper bewegt wurde.«
Andrieu blickte ihn verloren an, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sagte: »Ja sicher, ein Reflex, ja. Für einen Augenblick habe ich geglaubt . völlig idiotisch, aber trotzdem . Gut, ich werde Blanche Bescheid geben.«
»Ich begleite dich«, sagte Dubois und fasste ihn beim Arm.
Sobald sie die Kapelle verlassen hatten, ließ sich Gaelle auf eine Bank fallen.
»Ich kann nicht mehr! Ich bin erschöpfter, als wenn ich einen Marathonlauf hinter mir hätte.«
»Der Stress«, brummte Chib.
»Das Schlimmste ist, sich sagen zu müssen, dass es jemanden gibt, der so etwas getan hat! Der das Mädchen vergewaltigt, es getötet und dann seine Leiche gestohlen hat, um sie zu schänden. Kannst du dir vorstellen, wie viel Hass dafür nötig ist?«
»Und warum hasst derjenige die Andrieus so sehr?«
Chib klopfte sich nachdenklich auf das Kinn.
»Ein Verflossener von Blanche?«, schlug Gaelle gähnend vor.
»Irgendetwas stimmt nicht an der Sache.«
Chib lief nervös auf und ab.
»Zum einen haben wir einen Perversen, der eine sexuelle Beziehung zu Elilou unterhielt und sie dann umgebracht hat, damit man ihn nicht entdeckt. Zum anderen haben wir einen Leichenschänder. Es fehlt das Bindeglied.«
»Wie meinst du das?«
»Eine Leiche zu stehlen, ihr die Augen zu öffnen und sie mit dem Kopf nach unten an ein Kreuz zu nageln, ist ein aggressiver Akt gegenüber den Lebenden, die diesen Anblick ertragen müssen. Der Kinderschänder hingegen, der sie missbraucht hat, hat das nicht getan, um die Andrieus damit zu treffen, sonst hätte er sie nicht getötet, um die Vergewaltigung zu vertuschen.«
»Er hat sie vielleicht versehentlich getötet«, gab Gaelle zu bedenken. »Das Mädchen versucht, ihm zu entkommen, oder ich weiß nicht, was. Gut, mir reicht's für heute. Gehen wir?«
Chib nickte, durch seinen Kopf schossen konfuse Gedanken.
Die Sonne stand hoch am Himmel. Strahlend. Zu strahlend. Die Blumen waren zu bunt, das Gras zu grün. Jeder Kiesel war gestochen scharf wie ein Stein in einem Zen-Garten. Alles schien aus glänzendem Plastik gegossen. Man konnte sich kaum vorstellen, dass in dem Landhaus bleiche, tränenüberströmte Menschen lebten.
Costa war verschwunden. Louis-Marie und Charles stellten einen Ping-Pong-Tisch auf. Angesichts des Todes scheint jede Handlung des täglichen Lebens unpassend, sagte sich Chib, während er Gaelle in den kühlen, dämmerigen Salon folgte.
Gereizte Stimmen aus dem ersten Stock. Aus Blanches Zimmer? Plötzlich erschien Dubois oben auf der Treppe und kam zu ihnen.
»Sie ist sehr erregt«, flüsterte er. »Es ist besser, sie jetzt allein zu lassen. Wir haben gebetet, dass Elilou Ruhe findet, aber das hat nicht ausgereicht, um sie zu beruhigen.«
»Wir wollten uns verabschieden«, antwortete Gaelle im selben Ton. »Wir werden die Untersuchung morgen fortsetzen, wenn die Familie es wünscht.«
»Sehr gut.«
Er begleitete sie zur Tür.
»Ich hoffe, dieser
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