Schneewittchens Tod
ging zur Tür.
»Ich habe nicht gesagt, dass Sie mich stören.«
Sie hatte das Kinn gehoben und hielt seinem Blick stand.
Er sagte sich, dass er gehen müsse, jetzt sofort, doch stattdessen trat er auf sie zu.
»Nicht so nah«, sagte sie und warf einen Blick in den Garten.
»Laden Sie mich zum Mittagessen ein, ich will mit Ihnen reden.«
»Ich habe keinen Hunger, und unser letztes Mittagessen hat ein eher schlechtes Ende genommen.«
Er fühlte sich erbärmlich. Er musste gehen, aber er konnte nicht. Nicht, wenn sie so nah bei ihm stand. Wenn er sie zu schnell atmen sah. Wenn seine Hände brannten, weil er sie berühren wollte. Wie konnten Hände so sehr brennen, ohne in Flammen zu stehen? Wie war es möglich, dass sie es nicht spürte?
Sie richtete sich leicht auf, verschränkte die Arme in einer lächerlichen Geste der Verteidigung. Er versuchte ein Lächeln, wirklich jämmerlich.
»Ich will Sie nie wieder sehen«, murmelte sie.
Schlagartig wurden seine Hände eisiger als Elilous Körper. Wie konnten Hände so kalt sein, ohne zu zerspringen? Wie konnte sie ihm das sagen, mit diesem albernen Lächeln, das sie zittern und wanken ließ wie ein Schiff in Seenot?
Er machte einen Schritt auf sie zu, zwang sie, zu der dunklen Halle hin zurückzuweichen, bis sie in einer Ecke lehnte, weit von Costas Blick entfernt. Das Haus war still, man hörte nur die Stimmen von Aicha und Colette, weit entfernt, hinter den Türen zur normalen Welt. Er legte seine eiskalten Hände auf ihre Schultern und zog sie an sich. Sie hob die Arme, um sich freizumachen.
»Lass mich los!«
Die Privatheit des Duzens war wie ein Schnitt mit einer Rasierklinge. Er umarmte sie noch fester, und sie ohrfeigte ihn, eine schallende Ohrfeige mit der rechten Hand, die flach auf seiner Wange landete, ohne wehzutun, dort verweilte und sich in ein Streicheln verwandelte. Er ergriff ihr Handgelenk.
»Ich schreie.«
»Normal für ein kleines Ding, das den Kopf verliert.«
»Idiot!«
Endlich ein Funke von Leben! Er ließ sie los. Er empfand plötzlich eine unwiderstehliche Lust, grausam zu sein.
»Ich bin nicht gekommen, um Sie zu vögeln, sondern um mich zu erkundigen, ob wir die Untersuchung fortsetzen sollen.«
Sie errötete.
»Mein Mann ist nicht da.«
»Ich weiß.«
»Ich will nichts mehr von diesem Albtraum hören.«
»Sehr gut. Halten Sie sich die Ohren zu und schlafen Sie gut.«
»Das ist kein Spiel für mich«, zischte sie mit unterdrücktem Zorn, »es ist, als würde ich jeden Tag etwas mehr von meinem Lebenssaft verlieren, von diesem Lebenssaft, den Sie in ihren Plastikeimern auffangen und dann in den Müll schütten. Und stattdessen füllt man mich mit Erde, mit Schaufeln kalter Erde, und Sie, Sie beugen sich vor, Sie sehen zu und fragen mich, wie lange ich noch atmen kann, Sie fragen es mit der vorwurfsvollen Miene, die der Reiche für den Armen übrig hat, der vor Hunger krepiert!«
Er sah die Tränen in den grauen Augen schimmern und langsam über ihre Wangen rinnen. Er spürte, wie die eigenen Tränen - schwer und erstickend - langsam aufstiegen und zu seiner großen Scham seine Lider benetzten.
»Ist da jemand?«
Dubois! Seine Schritte auf dem Kies. Mit einer verzweifelten Geste zog sie Chib an sich und wich in eine winzige dunkle Kammer zurück. Ein Wandschrank, sagte er sich, als er gegen den Staubsauger stieß, mein Gott, wenn sie uns hier finden, sind wir verloren, werden wir aufgehängt und gelyncht. Ihre Hand auf seinem Mund, seine Hand in ihrem Nacken, dann die Münder vereint, in dem Geruch von Desinfektions- und Putzmitteln, ihre Tränen an seiner Wange, er hält sie fest .
»Ist Blanche nicht da? Ich hatte gesagt, ich käme sie besuchen.«
»Sie muss mit Monsieur Moreno draußen sein.«
»Stimmt, ich habe seinen Floride gesehen. Ich werde nachschauen.«
Chib spürte, wie sein Mund trocken wurde. Aicha musste außer sich sein, was sollen wir tun, mir egal, ich will dich, sie werden uns finden, das wird furchtbar, mir egal, ich will dich, so wie jetzt, hingegeben.
»Madame?«
Zögernde Stimme von Aicha.
»Pater Dubois ist da, er sucht Sie.«
Aichas Schritte, die sich unentschlossen entfernen. Stille.
Blanches Finger krallen sich noch fester in seine Schultern. Dann öffnete sie die Tür einen Spaltbreit und schob sich hinaus. Absatzklappern auf dem gefliesten Boden.
»Josselin!«
»Ach, hier sind Sie, guten Tag, Blanche.«
»Ich war in meinem Zimmer. Haben Sie Moreno gesehen?«
»Nein, ich dachte, er
Weitere Kostenlose Bücher