Schneewittchens Tod
wäre bei Ihnen.«
»Er hat mich gebeten, sich etwas umsehen zu dürfen.«
Auch Chib hatte den Schrank verlassen, sich lautlos zum Wintergarten geschlichen und war mit klopfendem Herzen auf der anderen Seite in den Garten getreten. Er atmete tief durch und wischte sich automatisch über den Mund, um eventuelle Spuren von Lippenstift zu beseitigen. Aber sie trug keinen Lippenstift.
Er sah sie von hinten auf den Pool zugehen, Dubois, die Augen zu Boden gerichtet, an seinem Arm eine braune Ledertasche. Blanche hatte wie immer die Arme verschränkt und den Kopf leicht zur Seite geneigt, zur entgegengesetzten Seite von Dubois, der ihr zuhörte. Chib beschloss, von hinten um das Haus herumzugehen, um ihnen etwas weiter entfernt zu begegnen, so als käme er aus dem Wald.
Ein gepflasterter Weg schlängelte sich durch den kurz geschorenen Rasen. Er kam an einer Schubkarre vorbei, die vor einem blühenden Hibiskusbeet stand. Etwas weiter blieb er stehen. Eine Schubkarre war praktisch, um eine Leiche zu transportieren, eine Kinderleiche. Und wenn es ganz einfach Costa war? Costa, den Louis-Marie beschuldigte, verbotene sexuelle Beziehungen mit Charles zu haben. Trotz seines erwachsenen Auftretens war Charles noch minderjährig. Costa, der diskrete Pädophile, der am Wohnsitz agierte?
Chib trat näher an die Schubkarre heran. Unschuldiges graues Metall, zwei holzüberzogene Griffe. Er beugte sich hinab und sah nur eine zusammengerollte blaue Plastikplane und eine Gartenschere mit verrosteten Griffen. Nein, befleckt, berichtigte er sich, als er unter der rötlichen Kruste apfelgrünen Lack entdeckte.
Er griff nach der Plane, die ihn unwiderstehlich anzog, hob eine Ecke an. Etwas höher, noch ein bisschen. Wieder überkam ihn dieses Gefühl von Angst, von unmittelbarer Gefahr. Er fuhr herum, war ganz sicher, beobachtet zu werden. Niemand. Ein Rotkehlchen flog zwitschernd davon. Entschlossen zerrte er an dem Plastik.
Etwas rollte auf den Boden der Schubkarre, etwas Haariges.
Ein Plüschtier, sagte er sich, eines von Eunices Plüschtieren.
Dann sah er die Spuren an seinen Händen, rote Spuren. Die Plane war innen voll davon. Er beugte sich noch tiefer hinab.
Die Augen des Plüschtiers hingen aus den Höhlen. Sie waren ausgelaufen, hinterließen dicke gelbe Spuren auf der blutigen Schnauze. Blutig? Plüschtieraugen, die ausliefen? O nein! Er streckte die Hand nach dem haarigen Bündel aus, ergriff eine Pfote und zog daran.
Der aufgeschnittene Bauch des Welpen wimmelte von dicken weißen Maden.
Chib zog die Hand zurück und schüttelte sie, als wolle er sich von etwas Ekelhaftem befreien.
Alles war blutbespritzt. Plötzlich wurde ihm klar, wozu die Gartenschere gedient hatte. Man hatte dem Tier den Bauch aufgeschnitten wie einem Geflügel. Es handelte sich um einen braun-weißen Setter von etwa drei Monaten mit aufgeschlitztem Bauch und herausgeschnittenen Augen.
Angeekelt wischte er die Hände an seiner Hose ab, um auch die geringsten Blutspuren zu entfernen.
»Madame Andrieu sucht Sie. Sie ist mit Pater Dubois im Wintergarten.«
Er zuckte zusammen. Costa stand an der Hausecke und musterte ihn.
»Ich komme«, sagte er und warf die Plane über den Kadaver.
»Ist es lange her, dass Sie die Schubkarre zum letzten Mal benutzt haben?«
Costa sah ihn verblüfft an und kniff die Augen zusammen.
»Die Schubkarre da?«
Er hatte einen leicht singenden, angenehmen Akzent.
»Ja, genau.«
»Die benutze ich im Moment nicht. Jetzt werden die Pflanzen zurückgeschnitten. Die Schubkarre benutze ich erst später, um Erde zu transportieren. Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie sie brauchen«, erklärte er schulterzuckend, so, als wolle er andeuten, dass ihn die Spinnereien seiner Herrschaft und deren Freunde nicht weiter verwunderten.
»Ich habe sie hier gefunden«, erklärte Chib. »Es liegt ein … ein toter Hund drin.«
Costa runzelte die Stirn und kam herbeigeeilt. Chib hob die Plane an. Costa beugte sich hinab und betrachtete den Welpen seelenruhig.
»Es ist eines von Nildas Jungen«, sagte er, als er sich wieder aufrichtete.
»Nilda?«
»Die Hündin der Osmonds. Sie hat Weihnachten sechs Junge geworfen. Drei haben sie für die Jagd behalten. Das hier ist Tobias. Ich erkenne ihn an der Musterung seiner Hinterpfoten«, erklärte er. »Ich muss sie anrufen«, fügte er hinzu und entfernte sich. »Monsieur Osmond wird verärgert sein, dass sein Hund getötet wurde.«
»Das scheint im Moment häufig vorzukommen. Der
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