Schneewittchens Tod
undurchsichtig wie die Wolken über den Bergen. Plötzlich ein schrilles Klingeln, das Telefon.
»Du hättest mich anrufen können!«
Gaelle.
»Es ist etwas passiert .«
Chib erzählte ihr von der Entdeckung des verstümmelten Hundes.
»Und Elilou? Alles beim Alten?«
Er hatte nicht einmal nachgesehen. Viel zu beschäftigt, die Mutter zu verführen, sagte er sich angewidert.
»Also, ich hoffe, die Polizei erwischt den Verrückten, der das getan hat. Ich bin sicher, es ist derselbe, der auch das Mädchen vergewaltigt und ermordet hat. Außer, es gäbe in dieser Gegend ein außergewöhnlich hohes Aufkommen an Verrückten.«
Chib stimmte ihr zu. Er wünschte sich so sehr, dass jemand kommen und ihm sagen würde, was genau er empfand, jemand, der ihm helfen würde, seine Gefühle zu sortieren, zu etikettieren, diese Gefühle, die sich überschnitten, sich zerfaserten, sich zeitweilig gegenseitig erstickten.
Sie verabredeten sich für den Abend in einer Pizzeria am Hafen.
Er legte auf. Das Telefon klingelte erneut. Es war Greg. Aicha hatte ihren freien Abend, was hatten sie vor? Chib schlug vor, sie sollten mit zum Essen kommen.
Dritter Anruf.
»Was haben Sie mit meiner Frau gemacht?«
Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden.
»Wie bitte?« »Sie war angezogen, als ich nach Hause kam, geschminkt und frisiert. Und sie war dabei, Blumen in eine Vase zu stellen. Sie sagte, sie hätte mit Ihnen ein langes Gespräch über den Tod geführt, und das hätte ihr gut getan.«
»Ach . das .«
Aber was sollte dieser Blödsinn?
»Ich hoffe, Sie setzen ihr nicht solche Flausen wie Voodoo in den Kopf?«
Nein, in den Kopf setze ich ihr gar nichts, mein Lieber.
»Wissen Sie, ich bin hier in Frankreich geboren.«
»Ich weiß, es ist nur . Nach Leons Tod hat sie sich dem Spiritismus zugewandt. Zum Glück hat Dubois energisch eingegriffen!«
»Weder Voodoo noch Spiritismus, machen Sie sich keine Sorgen.«
Am besten machen Sie sich überhaupt keine Sorgen.
»Okay. Was den Welpen der Osmonds angeht, so ist die Polizei jetzt da. Das ist auch der eigentliche Grund meines Anrufs; da Sie den Hund gefunden haben, möchten die Polizeibeamten Ihnen einige Fragen stellen. Können Sie kommen?«
»Ich bin schon unterwegs.«
»Und kein Wort über die anderen Sachen, verstanden?«, fügte Andrieu leise hinzu.
»Machen Sie sich keine Sorgen.«
Chib stellte seufzend den Wagen ab. Die Vorstellung, Blanche zusammen mit ihrem Mann zu sehen, machte ihn nervös. Sie hatten sich jetzt in eine Lüge verstrickt. In Verrat. Der gute alte Ehebruch hielt Einzug in dieses Krimidrama. Eine Mischung aus Boulevardstück und Kasperltheater. Lächerlich.
Der Polizeiwagen stand neben Andrieus Jaguar. Hinter dem Haus hörte man Männerstimmen.
Ein Polizeihauptmann untersuchte aufmerksam den makaberen Inhalt der Schubkarre, während ein junger Polizist Notizen machte. Der Hauptmann wandte sich an Chib. Er war etwa fünfzig Jahre alt, das Gesicht hochrot, die Miene leutselig.
Chib stellte sich vor. Sie unterhielten sich eine Weile, und der junge Polizist nahm seine Aussage auf. Der Hauptmann beklagte das Ansteigen sinnloser Gewalttaten, den Mangel an staatsbürgerlicher Gesinnung bei den Jugendlichen, spielte auf die Einwanderer an, während Chib ihm mit seiner weißesten Miene zuhörte.
»Sie glauben doch nicht, dass es sich um das Werk von Kindern handelt?«, fragte er und rückte automatisch seinen Krawattenknoten zurecht.
»Nein«, seufzte der Hauptmann bedauernd, »ich denke, das ist das Werk eines Drogenkranken oder so. Hier im Hinterland treibt sich ein eigenartiges Gesindel herum. Verrückte, die harmlos sind, andere, die weniger harmlos sind.«
»Der Tierarzt von Opio meint, dass hier ein Hunde-Serienmörder sein Unwesen treibt.«
»Die Untersuchung ist eingeleitet«, entgegnete der Hauptmann. »Wir tun unser Bestes.«
»Dessen sind wir ganz sicher«, ließ sich Andrieus distinguierte Stimme in ihrem Rücken vernehmen.
Er schüttelte Chib die Hand und sagte zu dem Hauptmann: »Ich glaube, bei John Osmond waren Sie schon?«
»Ja, aber er konnte uns auch nicht mehr sagen. Gut, wir nehmen den Kadaver mit, falls der Ermittlungsrichter eine Autopsie anordnet. Ich halte Sie auf dem Laufenden, Monsieur Andrieu. Und übrigens meine aufrichtige Anteilnahme.«
Andrieu blinzelte.
»Danke«, murmelte er mit versteinerter Miene.
Ein Mann aus Marmor, dachte Chib. Er versucht, sich in einen Mann aus Marmor zu verwandeln, aber irgendwie
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