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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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bringe dich nach oben, hörst du?«
    »Äääääää.«
    Schockzustand. Wie lange hing sie schon so da?
    »Zieh uns hoch!«, brüllte er zu Louis-Marie hinauf, »zieh uns hoch!«
    Der Junge verschwand.
    Das Seil spannte sich. Chib stützte sich an der Brunnenwand ab und stemmte sich hoch. Er musste aufpassen, dass Annabelles Kopf nicht gegen die Steine schlug. Es wäre zu dumm, ihr den Schädel an einem Felsblock einzuschlagen, wirklich zu dumm, guter Chib. Wenn er den Kopf hob, fiel ihm der Regen in die Augen, so dass er nichts mehr erkennen konnte. Mit einer übermenschlichen Anstrengung gelang es ihm, die Arme anzuwinkeln und das Mädchen auf Taillenhöhe zu ziehen. Gut. Er legte den Arm um ihre Hüften und richtete sie auf. Jetzt hielt er sie an seine Brust gepresst. Sie hatte die Augen noch immer nicht geöffnet.
    »Es ist zu schwer!«, rief Louis-Marie, »ich hole Hilfe.«
    »Gut, ich halte sie fest.«
    Er hing im strömenden Regen da, einen Fuß in einem Mauerloch abgestützt, die reglose Annabelle an sich gedrückt, »Ääääää«, und sah, wie die schwarzen Wolken über ihnen dahinjagten. Eine schwarze Armee gegen eine graue.
    Plötzlich spannte sich das Seil und entfernte ihn von der Mauer. Er blickte angestrengt und mit zusammengekniffenen Augen zur Öffnung hinauf, sah Gestalten, die sich über den Rand beugten. Costas Stimme: »Wir holen Sie hoch! Halten Sie durch!«
    »Okay!«
    Ein Ruck, er spürte, wie er fünfzig Zentimeter in die Höhe glitt. Eine Pause. Ein neuer Ruck. Bald waren sie oben angelangt, Chib reichte Louis-Marie das durchnässte, zitternde Kind und setze sich auf den Brunnenrand, um das Seil zu entfernen, das sich in seine Brust schnitt. Costa und Charles kamen außer Atem angelaufen.
    »Wie hat sie nur da hineinfallen können«, murmelte Costa.
    »An dem einzigen Tag, an dem ich das verfluchte Brett weggenommen hatte!«
    »Annabelle?«, fragte Louis-Marie und schüttelte sie, »alles in Ordnung?«
    Ohne zu antworten, die Augen noch immer geschlossen, fing das Mädchen an, mit den Zähnen zu klappern.
    »Ihr solltet Cordier anrufen«, sagte Chib, als er sich aufrichtete.
    »Schon passiert«, antwortete Charles und schwang sein Handy, das neueste Modell, natürlich. »Ich habe auch Maman Bescheid gesagt, dass alles okay ist.«
    »Ist euer Vater noch nicht zu Hause?«
    »Der kommt nicht so früh.«
    Bei der Erwähnung des Vaters verdüsterte sich Costas Gesicht noch mehr. Sicherlich fürchtete er um seine Stelle. Schließlich hätte Annabelle tot sein können, nein, müssen, korrigierte sich Chib im Geiste.
    Schweigend kehrten sie zum Landhaus zurück, Louis-Marie hatte das Mädchen auf dem Arm. Blanche erwartete sie Hände ringend auf der Schwelle. Sie stürzte sich auf ihre Tochter und entriss sie den Armen des Bruders.
    »Mein armer kleiner Liebling! Es ist vorbei, alles ist gut, Maman ist da!«
    Annabelle stieß eine Art Schluchzer aus und fing dann, ohne ein Wort zu sagen, laut an zu weinen.
    »Ihr solltet euch umziehen, ihr werdet euch noch den Tod holen«, sagte Aicha, sobald die Jungen im Haus waren. »Für die Kleine habe ich eine heiße Schokolade gemacht, Madame.«
    »Danke.«
    Chib stand unbeholfen und triefend in einer Ecke. Blanche hatte sich auf einen Stuhl mit hoher Lehne gesetzt und hielt Annabelle auf dem Schoß. Er sah auf seine Uhr. Noch nicht einmal drei, und der Himmel war so dunkel, als wäre es schon Abend. Aicha hatte im Übrigen die Lampe im Directoire-Stil eingeschaltet, die auf dem Barschrank stand. Jetzt kam sie mit einem Becher dampfender Schokolade herein.
    »Aicha, geben Sie Monsieur Moreno einen von Monsieurs Jogginganzügen, damit er sich umziehen kann.«
    »Gut Madame, wenn Sie mitkommen wollen …«
    Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, fragte sie: »Was ist passiert?«
    »Keine Ahnung! Wahrscheinlich hat sie rumgetobt und ist runtergefallen.«
    »Annabelle ist eher vorsichtig, ich kann mir kaum vorstellen, dass sie auf dem Brunnenrand balanciert!«
    Er zuckte die Schultern.
    »Offenbar ist dieses Anwesen eine permanente Gefahrenquelle für Kinder«, meinte er.
    »Glaubst du …?«
    Er zuckte wieder die Schultern. Sie blieb vor einer großen Holztruhe stehen und nahm einen frisch gebügelten, weißen Jogginganzug heraus, den sie ihm reichte, dann deutete sie auf eine Tür.
    »Da ist die Toilette, du kannst dich umziehen«, erklärte sie, ehe sie sich eilig entfernte.
    Er hatte das Gefühl, seine Zeit hauptsächlich damit zu verbringen,

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