Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
verschwindet über die knarrende Holztreppe nach unten. Hardy wendet sich, das Absauggerät und die Beatmungstasche in der Hand, ebenfalls zum Gehen.
Bevor ich zu dem Bett gehe, um die Verstorbene wieder zuzudecken, sehe mich einen Moment lang um: ein Schrank, ein Bett, ein Nachttisch – alles aus hellem Holz, alles sieht neu aus. In der Mitte über dem Bett ein Kruzifix, sonst kein Bild an der Wand. Nur auf und über dem Nachttisch stehen und hängen Fotos. Ein schwarzweißes Hochzeitsfoto hängt dort, dann eines mit dem gleichen Mann in einer Wehrmachtsuniform. Daneben noch eines, das etwas neuer zu sein scheint und eine dreiköpfige Familie zeigt, die stolz vor einem großen Traktor posiert. Auf dem Nachttisch ein Bilderrahmen mit farbigen ausgeblichenen Fotos.
Ich beuge mich über das Bett, und erst jetzt nehme ich den völlig entspannten Gesichtsausdruck der Verstorbenen wahr. Ausgeruht, friedlich. Fast etwas Zufriedenes und Leichtes liegt darin. Der Tod hat keinen Schmerz in diesem Gesicht hinterlassen. Jemand, der alles einfach losgelassen hat und in Frieden gegangen zu sein scheint , denke ich, während ich den Leichnam zudecke.
Zurück im Wagen sieht mich Hardy über seine Brille hinweg an. »Also Italiener?«, will er wissen.
Ich werde mich an seine dickhäutige Art wohl nie gewöhnen. Aber ich verkneife mir eine Bemerkung.
»Ja. Und noch einmal zum Bankautomaten, bitte«, antworte ich stattdessen.
Hardy grinst.
Mir geht der Anblick dieser alten Frau in diesem leeren Zimmer die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf. Dieses völlig gelöste Gesicht … Vielleicht ist es leichter, das Leben loszulassen, wenn man nur wenig besitzt? Oder nicht so viel um sich herum ansammelt?
Und dann fällt mir das Polaroid ein und der verzweifelte, schreiende Gesichtsausdruck des Neugeborenen.
Vielleicht ist das alles ganz anders, als wir es uns vorstellen.
Am Ende der Welt
M anches vergisst man nicht, weil es so schön war. Anderes kann man nicht vergessen, gerade deswegen, weil man sich am liebsten nie mehr daran erinnern möchte.
Dienst in der Außenwache in Mering: Hier ist alles etwas »gemütlicher«, es gibt ein kleines »Wohnzimmer« und eine Küche und statt einer großen Fahrzeughalle und Lagerräumen lediglich eine große Garage für den RTW . Aber die Büro- und Putzarbeit auf zwei Leute verteilt ist nicht weniger als in einer großen Wache. Josef schaut schon seit dem frühen Morgen Protokolle auf ihre Vollständigkeit durch und heftet sie ab. »Der Wagen könnte mal so richtig durchgewischt werden«, sagt er, als ich mir einen Kaffee einschenke. »Mal komplett alles aus- und wieder einräumen.«
Daran hatte ich selbst schon gedacht, aber ich dachte, nach dem Putzen der Küche wäre eine kleine Kaffeepause drin. Ich verkneife mir jede Bemerkung. Josef ist eben der Dienstältere, und das lässt er auch gern raushängen.
Ich nehme den Kaffeebecher mit in die Garage, in der es angenehm kühl ist.
Während ich den Putzlappen schwinge, schaut der ältere Herr aus dem Nachbarhaus vorbei. Er fängt an, über das Wetter zu reden – »früher gab es mehr solcher Hochsommertage wie heute«. Dann kommt er zur Ernte in diesem Jahr, zu seinem Garten und erzählt, wie es in der Gegend aussah, als er vor dreißig Jahren hierhergezogen war. Schließlich schlendert er pfeifend über den Hof wieder zum Tor hinaus.
Als im RTW alles gereinigt zurück an seinem Platz ist, gehe ich in die Küche, wo Josef bereits seine Semmeln auspackt. Die stickige Luft in dem kleinen Raum an diesem heißen Tag nimmt mir den Atem. Ich öffne das Fenster weit, bevor ich mich zu Josef an den Tisch setze.
»Nur noch drei Jahre bis zur Rente«, sagt er, während er jeweils eine Ecke der beiden Brötchen aufklappt, um zu sehen, mit was sie belegt sind. Schinken und Camembert. Seinem Lächeln nach ist er damit zufrieden.
Während die Schinkensemmel Bissen für Bissen in seinem Mund verschwindet, erzählt er mir, dass es im Rettungsdienst nichts gebe, was er nicht schon mal gesehen habe.
»Mach das Fenster wieder zu, Zivi, kommt doch nur warme Luft rein«, ordnet er nebenbei an.
»Ich bin schon seit mehr als vier Monaten nicht mehr Zivi, Josef«, sage ich.
»Ja, aber das Fenster kannst du trotzdem schließen.«
Nach der Mittagspause hängen wir rum. Josef macht Kreuzworträtsel, ich lese in Büchern über Michelangelo und die Toskana. Die Zeit will heute einfach nicht vergehen.
»Warst du schon dort?« Josef zeigt auf mein
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