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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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Toskana-Buch. Ich schüttle den Kopf.
    »Du?«
    »Nein. Ich fahre nie so weit in den Urlaub. Wir sind immer am Tegernsee.«
    Das war es auch schon mit unserer Unterhaltung. Josef ist ein einfacher Mensch. Ich versuche mir vorzustellen, wie er lebt. Sicher hängt in seiner Wohnung gleich über der Tür auf der weiß gestrichenen Raufasertapete eine dieser lackierten Holzscheiben mit einem frommen Spruch. Beim Gedanken daran muss ich lächeln.
    Am Nachmittag fragt Josef unvermittelt: »Kuchen?«
    Ich werfe einen Blick in meinen Geldbeutel. »Für mich nicht.«
    »Ich lade dich ein.«
    Josef hat mich noch nie eingeladen.
    »Sieh mich doch nicht so groß an … ich lade dich ein«, wiederholt er.
    »Hast du Geburtstag?«
    Ein unfreundliches Brummen.
    »Okay.«
    Kurz darauf lenkt Josef den blitzblanken RTW über den Hof. »Bewegungsfahrt«, meldet er sich kurz bei der Leitstelle, um klarzumachen, dass wir nicht mehr per Telefon erreichbar sind.
    »Wen wollt ihr denn bewegen, das Auto? Oder euch?« Ein Lachen am anderen Ende des Funks.
    »Das Auto, zwei Mann Besatzung und ein paar Stück Kuchen.« Auf einmal ist Josef richtig vergnügt.
    Minuten später halten wir vor der nächsten Bäckerei. Josef drückt mir ein paar Geldstücke in die Hand, da meldet sich die Leitstelle: »33/38.«
    Josef ist damit beschäftigt, seinen Geldbeutel zu verschließen, also greife ich zum Funkhörer, doch dabei fallen mir die Geldstücke in den Fahrerraum. Der Leitstelle scheint es zu lang zu dauern, denn jetzt piepst sie uns auch noch an, und das Funkgerät pfeift uns in die Ohren.
    Ich melde mich, ziehe so schnell es geht den Kugelschreiber aus der Tasche und versuche gleichzeitig, die Taste meines Piepsers zu drücken, um das lästige Pfeifen auszuschalten.
    »33/38, Richtung Bobingen. Näheres folgt.« Die Stimme des Leitstellenmitarbeiters ist kalt und förmlich geworden.
    »Mal wieder am Ende der Welt«, mault Josef. Seine gute Laune ist verflogen. »Wer weiß, ob wir es bis zum Dienstende wieder zurück auf die Wache schaffen.«
    Einen Moment später schallt unser Martinshorn durch die engen Gassen von Mering.
    »Verdacht auf zwei Mal Ableben«, teilt uns der Leitstellenfunk mit, nachdem er den genauen Einsatzort durchgegeben hat.
    Ich wiederhole die Meldung und betone das »zwei Mal«. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es vielleicht falsch verstanden habe.
    Die Leitstelle bestätigt, dann ergänzt die Stimme am Funk: »Polizei vor Ort, wir versuchen, einen niedergelassenen Arzt dazu zu schicken.«
    Ich habe den Straßenplan vor mir und dirigiere Josef zu der kleinen Ortschaft weit außerhalb unseres eigentlichen Einsatzgebietes. Ich komme nicht dazu, mir Gedanken über das zu machen, was uns erwartet. Und es hätte auch keinen Sinn. Solange wir keine genaueren Hinweise erhalten und uns nicht selbst ein Bild machen können, bringen solche Spekulationen nichts.
    »Da vorn links, der nächste Ort ist es«, sage ich.
    Sonnengelbe Kornfelder, Mähdrescher hier oder da, staubige, warme Sommerluft.
    Ein Wetter, als ob nichts die Seele trüben könnte.
    Josefs Finger umklammern das Lenkrad, auf der Haut bilden sich rote und weiße Flecken.
    »Jetzt langsam …«, sage ich. Wir nehmen die weite Rechtskurve, in der sich zur Beifahrerseite ein Bauernhof befindet. Mehrere Polizeiautos stehen in dem großen Hof, in den Josef den Wagen lenkt. Ein Polizeibeamter lehnt in der Haustür. Nicht nur der Schatten verdunkelt sein Gesicht. Ein anderer sitzt mit gesenktem Kopf in der geöffneten Tür des Streifenwagens, hält einen Funkhörer auf dem Schoß.
    Erst jetzt fällt mein Blick auf einen Mann, der zusammengekauert auf der Treppe zum Eingang hockt. Müssen wir ins Haus? Ich kann die Situation noch nicht einschätzen.
    Josef lenkt den Wagen noch ein paar Meter weiter, der Kies arbeitet unter unseren Reifen, dann steigen wir aus. Ich schnappe mir den Notfallkoffer, während Josef bereits auf den Eingang zugeht. Ich höre, wie er den Polizisten fragt: »Ist der Arzt drinnen?«
    Der Beamte schüttelt den Kopf und zeigt auf den Mann, der auf der Treppe sitzt.
    »Es ist zu spät«, sagt dieser, als ich dazukomme. »Zu spät«, wiederholt er noch mehrere Male.
    Erst jetzt sehe ich die lederne Arzttasche an seiner Seite.
    Josef weist mit der Hand ins Haus. »Darf ich …«
    »Zu spät«, sagt der Mann ein letztes Mal. Ein angestrengter Blick, den ich nicht deuten kann. Blendet ihn die Sonne? In diesen angespannten Gesichtszügen lässt sich Lachen und

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