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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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wieder in der Hand und wählt bereits. Ich bekomme mit, dass es einen Moment dauert, ehe die Leitstelle versteht, dass er es ist und kein anderer Anrufer, dann erklärt er: »Wohnungsöffnung, Hilferufe … nein, die Feuerwehr brauchen wir nicht, die hat bereits die Pol’ bestellt, aber einen Notarzt bitte … ja … nein, wir sind noch nicht in der Wohnung, wir hören von drinnen noch eine Stimme … nein, die Person kann nicht öffnen … wissen wir nicht … gut, danke …«
    Das Martinshorn der Feuerwehr ist noch nicht zu hören.
    »Kann man die Scheißtür nicht irgendwie aufbekommen?«, rufe ich.
    Der Polizeibeamte rüttelt an der Tür. Drückt mit der Schulter dagegen. Nichts bewegt sich.
    »Kennen Sie die Frau, die hier wohnt?«, fragt die Beamtin den Nachbarn.
    »Vom Sehen«, sagt er. »Die wohnt schon eine Zeit lang hier, aber sie spricht nicht viel. Ist noch sehr jung. Siebzehn oder so. Kommt irgendwo aus Norddeutschland und macht hier eine Lehre, hat der Hausmeister gesagt.«
    »So jung?«, sagt die Beamtin.
    Der Mann nickt.
    »Hallo!?«, rufe noch einmal laut und schlage, nachdem mir der Polizist Platz gemacht hat, erneut mit der Faust gegen die Tür. »Können Sie uns hören?«
    Diesmal bleibt es hinter der Tür still.
    Dafür immer wieder der Anfang von »Für Elise« … Immer wieder der gleiche Fehler, und das Spiel bricht für einen Moment ab. Ich hasse dieses Stück, es nervt.
    »Wir lassen die Tür öffnen, hören Sie? Wir sind in ein paar Minuten bei Ihnen!«, rufe ich laut. Der Widerhall aus dem Hausflur ist die einzige Antwort, ich drücke mein Ohr an die Tür. Nichts.
    »Was ist denn hier los?«, fragt plötzlich jemand in die Stille hinein. Aus der Nachbarwohnung hat eine alte Frau den Kopf aus der Tür gestreckt.
    »Das wissen wir nicht genau«, sagt der Polizeibeamte. »Wir haben einen Notruf bekommen, und jetzt macht niemand auf.«
    »Ach«, sagt die Frau. »Da wird schon nichts sein, die junge Frau ist wahrscheinlich nicht da. Vielleicht ein schlechter Scherz.«
    Der Polizist schüttelt den Kopf. »Wir haben Hilferufe gehört. Da drinnen ist jemand.«
    Jetzt hallt ein Martinshorn in der Ferne.
    »Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wie man in die Wohnung kommen könnte?«, fragt der Polizist die Nachbarin.
    »Nein«, sagt die Frau. »Außer … Sie möchten es über meinen Balkon probieren.«
    »Dürfen wir mal sehen, ob das geht?«, nickt ihr der Polizist zu.
    Zusammen folgen wir der alten Dame durch ihre Küche auf einen kleinen Balkon.
    »Wenn Sie da vielleicht eine Leiter drüberlegen …«, schlägt sie vor.
    Der andere Balkon ist etwa anderthalb Meter weit entfernt.
    »Da traue ich mich nicht rüber«, sage ich. Ich habe Höhenangst.
    »Ich würde es vielleicht versuchen«, sagt der Polizist, »aber erstens haben wir noch keine Leiter, und zweitens …« Er deutet auf die Balkontür auf der anderen Seite.
    Stimmt. Die Jalousien sind runtergelassen, ob wir die Balkontür zur Wohnung der jungen Frau schneller aufbekommen würden als ihre Wohnungstür, ist fraglich.
    »Die Feuerwehr müsste gleich da sein«, sage ich. Das Heulen des Martinshorns kommt immer näher.
    Wir eilen zurück in den Hausflur.
    »So, jetzt reicht es mir. Alle weg da!«, ruft der Polizist und nimmt etwas Anlauf, bevor er sich mit der Schulter gegen die Tür wirft. Das macht er ein paarmal. Aber die Tür bewegt sich noch immer keinen Millimeter.
    »Hallo, hören Sie uns?«, ruft jetzt die Polizistin noch einmal. Aber nur das Martinshorn durchbricht in regelmäßigen Abständen die bedrückende Stille. Selbst dieses nervige Klavierspiel ist verstummt.
    »Wie lange warten wir denn jetzt schon?«, frage ich. Ich spüre, dass sich meine Hände immer wieder kurz zu Fäusten ballen.
    Der Polizist schaut auf seine Uhr. »Sechs oder sieben Minuten höchstens.«
    Das ist gar nicht so lange, wie ich angenommen habe.
    Das Martinshorn der Feuerwehr bricht ab, ganz in der Nähe. Ein Wagen rangiert vor dem Haus, kurz darauf sind Schritte und Keuchen zu hören. Zwei Kollegen von der Feuerwehr bringen im Laufschritt ihre Gerätschaften nach oben.
    Draußen wieder ein Martinshorn – hoffentlich der Notarzt, den Roman bestellt hatte.
    »Schonend oder schnell?«, fragt der größere der beiden Feuerwehrmänner und beginnt, einen Schraubenzieher unter der Blende des Türschlosses anzusetzen.
    »Sofort!« , sagt Roman – und es klingt auch nach »Sofort!«.
    Der Polizist nickt.
    Mit einer Brechstange hebeln die Feuerwehrmänner die

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