Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Notarztsanitäters, der jetzt wieder »drückt«.
»Aufhören. Es macht keinen Sinn mehr«, sagt die Notärztin nach einer Weile. Ein schneidender Unterton liegt in ihrer Stimme.
»Können – können Sie sagen, warum das …«, beginnt der Polizeibeamte einen Satz.
»Nein. Ich habe keine Ahnung.«
»Aber irgendeinen Grund muss es doch …?«
Die Ärztin unterbricht den Polizisten beinahe harsch: »Ich habe Ihnen doch gerade klar gesagt, dass ich es nicht weiß.«
Der Polizist nickt. »Gut, dann werde ich alles Weitere veranlassen.« – Alles Weitere ist das Informieren der Kripo, die entscheiden wird, was nun passiert. Eine Siebzehnjährige, die allein in ihrer Wohnung stirbt, nachdem sie einen Notruf abgesetzt hat, das ist vermutlich kein Vorgang, der einfach zu den Akten gelegt wird.
Die Kollegen von der Feuerwehr, die vor der Tür gewartet haben, notieren für ihre Dokumentation noch unsere Namen und die der Polizisten und verabschieden sich dann.
Roman und ich beginnen wie automatisch, den Tubus zu entfernen, die Ampullen und Spritzen, die herumliegen, in einen Müllbeutel zu packen, das EKG -Kabel einzurollen. Von der Polizeibeamtin lasse ich mir den vollständigen Namen und das Geburtsdatum der jungen Frau geben, die sie mittlerweile über Funk abgefragt hat.
Beim Verlassen der Wohnung streift mein Blick das Poster an der Wand hinter der Tür. Dalís »Die Vergänglichkeit der Zeit«, ich kenne das Bild …, viel zu schwermütig für ein junges Mädchen. Überhaupt hat die Wohnung etwas Trostloses …
»Wir hätten nur ein paar Minuten früher dran sein müssen«, sage ich, als wir in den Wagen gestiegen sind.
»Und dann?«, fragt Roman.
Ich sitze hinter dem Lenkrad, schaue auf die Straße und denke über diese junge Frau und die merkwürdig kühle Wohnung nach. Mit siebzehn hat man doch alles noch vor sich. »Wenn nur dieser Mist mit der Hausnummer nicht gewesen wäre. Und wir die Tür gleich aufbekommen hätten.«
»Wir wissen doch gar nicht, was sie gehabt hat. Vielleicht wäre sie auch dann gestorben, vor unseren Augen, in der Wohnung oder bei uns im Auto.«
Ja, da hat er recht.
»Hey, mach dich nicht fertig mit ›was wäre wenn‹. Du kannst es nur versuchen. Okay?«
Das ist Roman, der die Dinge einfach haben will und klar sieht.
Ich halte an einer Tankstelle. Beim Aussteigen ruft Roman mir noch nach: »Du bist Rettungssanitäter. Du kannst nur versuchen dein Bestes zu tun. Und wenn das nichts nutzt – dann ist es eben so.«
»Ja, das ist wohl manchmal das Problem!«, rufe ich ihm zu, während ich unseren Rettungswagen betanke.
»Was ist das Problem?«, fragt die Dame, die neben mir mit ihrem Van steht.
»Ach, nichts, ich habe nur laut gedacht.«
Während ich an der Kasse stehe, merke ich, wie das alles in mir bohrt. Diese Frustration: alles richtig gemacht zu haben, und dabei trotzdem erfolglos geblieben zu sein.
An einer unsichtbaren Grenze angelangt: Wir hätten ebenso gut auf der Wache bleiben können, uns alles sparen können. Dass Roman das so einfach wegwischen kann. Irgendwie bewundere oder beneide ich ihn darum.
Als ich wieder in unseren Rettungswagen einsteige, schaut Roman in die andere Richtung aus dem Fenster auf den Hof der Tankstelle. In seiner Brille brechen sich die Farben der dahinterliegenden Welt.
»Ja, das ist das Problem«, sagt er so leise, dass ich es kaum höre.
Gott und die Welt
F rühjahrsstürme die ganze Nacht über.
Markus hatte am Abend zuvor angerufen und mich gebeten, ihn heute eine Stunde früher abzulösen. »Ich muss mit meiner Frau zu ihren Eltern fahren«, hatte er gesagt.
»Okay, kein Problem …«, hatte ich versichert.
Markus ist ein hilfsbereiter Typ, der für jeden anderen Kollegen schon was weiß ich wie oft einen Dienst übernommen hat.
Aber noch früher aufstehen? Und das gerade morgen! Mein Auto ist in der Werkstatt, und ich muss sowieso schon eine Dreiviertelstunde früher aus dem Bett, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln pünktlich in der Wache zu sein.
Um vier Uhr klingelt der Wecker. Nach einer Nacht, in der der Wind laut um die Häuser geheult hat.
Als ich um kurz vor sechs vor der Rettungswache aus dem Bus steige, haut es mir erst einmal einen Regenschwall ins Gesicht. Wach bin ich jetzt, aber nicht wirklich gut drauf.
Kurz darauf klopfe ich an die Scheiben eines Fahrzeughallentors. Ich meine, eben noch jemanden bei den Autos gesehen zu haben. Aber offenbar hat er mich nicht gehört. Also muss ich an der Tür
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