Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
Vom Netzwerk:
allein?«
    »Ich muss noch kurz den Kollegen von der Leitstelle anrufen«, sagt Frank und geht ein paar Meter vor.
    Ich stelle die leere Trage kurz ab.
    Das Gesicht der alten Frau ist erschreckend weiß, ihre Augen liegen tief in den Augenhöhlen. Als ich näher komme, greift sie nach mir. Das Umfassen meines Arms: Es ist fast wie eine Umklammerung. Sie erzählt mir, dass sie sieben Kinder hatte. Dass eines davon gestorben sei und auch ihr Mann schon lange nicht mehr lebe. Sie habe die Kinder alle alleine großgezogen. Aus allen sei etwas geworden. Und nun liege sie hier, und niemand würde sie besuchen oder sich um sie kümmern.
    »Ach, schlafen Sie nur noch ein wenig, und dann bekommen Sie heute vielleicht doch Besuch«, versuche ich sie zu beruhigen. Ob ihre Geschichte wohl stimmt, oder ob sie nur verwirrt ist?
    »Ach«, klagt sie noch einmal, »warum nimmt mich der Heiland denn nicht endlich zu sich?« Dann schaut sie an mir vorbei nach oben und flüstert ganz leise. Vielleicht betet sie.
    »Ich bin so weit«, höre ich Franks Stimme hinter mir. Es fällt mir schwer, ihre Hand vorsichtig von meinem Arm zu lösen, dann verabschiede ich mich, aber die alte Frau flüstert weiter mit Blick zur Decke und womöglich höher.
    Am Ende des Gangs kommt eine Krankenschwester aus einem Zimmer. Ich spreche sie auf die alte Frau an.
    »Ja«, sagt sie. Dass sie sechs Kinder habe, stimme wohl. »Sie ist seit zweieinhalb Wochen bei uns. Nach einem Sturz … Keins von ihren Kindern oder den anderen Angehörigen hat sich mal blicken lassen. Dabei wohnen die alle hier in der Gegend.«
    »Noch kurz eine.« Frank wackelt demonstrativ mit seiner Zigarettenschachtel. Wir stehen windgeschützt unter dem überdachten Eingang.
    »Schon gut. Erzähl mal …« Ich möchte wissen, wie das Telefonat lief.
    »Ach«, sagt er zuerst nur und zieht ein paarmal an seiner Zigarette. »Was soll da bei so einem Gespräch rauskommen? Das ist derselbe, mit dem ich schon ein paarmal Stress hatte. Und jetzt wissen wir beide wieder Bescheid. Ich denke, dass er ein Depp ist, und er glaubt zu wissen, dass ich einer bin.«
    Dann drückt er seine nicht zu Ende gerauchte Zigarette aus. »Komm, lass uns Kaffee trinken fahren.«
    Kurz ist das vom stürmischen Wind verwehte Läuten einer Kirchenglocke zu hören. Die Wolken fegen in Fetzen über uns hinweg.
    Ein Tag, an dem sich Regen und Tränen, Glaube und Wut, Liebe und Einsamkeit mischen.

Zwei Blinde und ein schwerer VU
    D ie haben doch Regen angesagt …« Hardy schaut aus dem Fenster. Kaum ein Wölkchen ist am Himmel.
    »Willst du dich jetzt über das gute Wetter beschweren?«, frage ich ihn.
    »Nein, aber der Wetterdienst hat für heute den ganzen Tag über Schauer angekündigt. Mich wundert es ja nur.«
    Ich zucke mit den Schultern. Sonntagnachmittag. Das Auto ist frisch gewaschen, der Schreibkram erledigt.
    »Irgendwie langweilig.« Hardys dunkler Lockenkopf von hinten, er schaut immer noch nach draußen.
    Es ist tatsächlich schon fünfzehn Uhr durch, und wir hatten nur einen Einsatz bisher. Eine sogenannte »Synkope«, ein Ohnmachtsanfall, um kurz vor elf Uhr in einer Kirche in der Innenstadt: eine ältere Dame, die beim langen Stehen im Gottesdienst Kreislaufprobleme bekam, sich aber schnell wieder erholte. Sie habe das schon öfter gehabt, sie sei eben nicht mehr die Jüngste, und mit ins Krankenhaus wolle sie sowieso nicht, hatte sie gesagt. Nachdem Blutdruck und Puls wieder akzeptabel waren und auch der Blutzucker im »grünen Bereich« war, hatte schließlich ein Mann aus der Nachbarschaft der Dame versprochen, sie nach Hause zu bringen.
    »Und dafür sind wir quer durch die Stadt gefahren«, hatte Hardy den Einsatz kommentiert.
    »Lauf nicht dauernd vor dem Fernseher rum.« Ich habe das Sonntagnachmittagsprogramm eingeschaltet: Der Teufel mit den drei goldenen Haaren .
    »Du schaust das doch nicht wirklich an, oder?«, sagt er, ohne ein Stück zur Seite zu gehen.
    »Stimmt.« Ich versuche an ihm vorbeizusehen und mache wenigstens den Ton lauter. »Solange du davor stehst, nicht.«
    Immer noch das Fernsehgerät verdeckend blickt er mich groß an. Seine eckigen Brillengläser haben eine ähnliche Form wie der Bildschirm des nicht mehr ganz neuen Gerätes. Schließlich tritt er doch einen Schritt zur Seite.
    Auf einem der Nachrichtensender kommt ein Bericht über den Nahen Osten und ein Rückblick auf den Golfkrieg 1990/1991. Hardy sieht sich die Bilder nun ebenfalls an. Nachtaufnahmen von einer

Weitere Kostenlose Bücher