Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Garage fahren, brüllt die Stimme über Funk noch einmal.
»33/37, Ihr Status!!!«
Die Statusmeldung, eine kleine Taste, die man drückt, damit auf dem Bildschirm in der Leitstelle sichtbar wird, dass wir unterwegs sind.
»Du mich auch«, sagt Frank, bevor er die Statustaste drückt, dann nimmt er den Hörer noch einmal in die Hand und verkündet ganz ruhig: »Mein Status? Ehrenamtlicher Mitarbeiter.«
Ich muss spontan lachen. So macht man sich Freunde.
Am Funk ist erst einmal nichts mehr zu hören. Aber dann meldet sich die Stimme noch einmal, etwas ruhiger, aber mit einem aggressiven Unterton: »33/37, Sie melden sich nach diesem Einsatz mal telefonisch bei uns, verstanden?«
»Ja, sicher«, antwortet Frank.
»Möchte mal wissen, was heute los ist. Du hast schlechte Laune, der hat schlechte Laune …«
»Ich hab keine schlechte Laune.«
Jetzt ist aber auch Frank nicht mehr ganz so gut drauf und sagt erst mal nichts mehr.
Draußen ist es noch richtig dunkel, obwohl die Sonne eigentlich schon aufgegangen sein sollte. Aber wenn man diese großen schweren Wolken über uns betrachtet, sieht es nicht danach aus, dass sich die Sonne überhaupt noch blicken lässt.
In Lechhausen stoppen wir vor einem der Mehrfamilienhäuser. Häuser, die alle fast gleich aussehen. Grau kann mehr als eine Farbe, es kann auch ein Zustand sein. Niemand öffnet, obwohl man in der Wohnung, die mutmaßlich zu dem Klingelknopf und Namensschild gehört, Licht sieht. Ein kleines altes schwarzes Schild mit einer herausgefrästen weißen Schreibschrift. Frank klingelt noch dreimal, aber es öffnet uns immer noch keiner. »So eilig scheint es wohl nicht zu sein mit dem Krankentransport.« Frank drückt abermals auf den Klingelknopf und lässt ihn erst wieder los, als man Schritte im Hausflur hört.
»Ich komme ja schon … Moment noch!«, ruft jemand von drinnen. Es hört sich nach einem alten Mann an.
»Das sind mindestens schon siebeneinhalb Momente«, meckert Frank.
Das Geräusch eines Schlüssels, der sich in der Tür dreht, die sich schließlich öffnet. Ein älterer Herr, der sehr blass aussieht, steht vor uns. Er geht mir gerade bis zur Schulter.
»Guten Morgen, Herr Meierl, kommen Sie mit uns ins Friedberger Krankenhaus?«, möchte ich wissen.
»Nein, nein«, der Mann, der geschätzte achtzig Jahre alt ist, schüttelt den Kopf. »Meine Frau. Der Herr Doktor war vor einer halben Stunde hier. Sie muss wohl mit, da kann man nichts machen.«
»Und was fehlt ihr?«, fragt Frank.
»Sie bekommt seit einem Monat so schlecht Luft …«
Frank unterbricht ihn. »Aha, und da muss sie jetzt eilig ins Krankenhaus.«
Der alte Mann geht vor uns her. Er ist schwach, kann die Füße kaum heben. »Ihr Bauch ist so dick geworden, und seit gestern Abend hat sie schreckliche Schmerzen. Sie wollte erst am Montag zum Arzt gehen.«
»Hat sie erbrochen?«, frage ich.
»Ja«, sagt Herr Meierl, bleibt auf der Stufe stehen und dreht sich halb zu uns um, »so dunkles Zeug.« Dann steigt er weiter die letzten Stufen bis zur Wohnung im ersten Stock hinauf.
Es riecht nach einem Kohleofen. Aber im Gegensatz zu den anderen Wohnungen hier in der Gegend, die ich in Erinnerung habe, macht diese Wohnung alles andere als einen verwahrlosten Eindruck.
Der Mann öffnet eine geriffelte Glastür, dann stehen wir im Schlafzimmer.
»Guten Morgen, Frau Meierl.« Frank geht auf die Patientin zu, die nur stumm nickt, und auch ich begrüße die ältere Dame. Das Licht der Nachttischlampe, die auf dem hölzernen Nachttisch steht, strahlt auf ein schwarzes Buch mit Goldschnitt. »Das neue Testament« steht in goldenen Lettern darauf. Eine getrocknete Rose, die daneben auf einer verzierten Porzellanuntertasse liegt, ist wohl das Einzige im Raum, dem etwas Staub anhaftet. Das Nachttischchen muss aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren sein. Alles hier kommt einem alt vor, man sieht den Dingen in der Wohnung an, dass sie fast ein ganzes Leben hinter sich haben, aber auch, dass sie gepflegt wurden.
»Sie muss wohl mit«, sagt der alte Mann noch einmal.
»Hat Ihnen der Arzt auch Einweisungspapiere dagelassen?«, fragt Frank.
»Ja, warten Sie, ich habe sie in der Küche abgelegt.«
Frau Meierl hat die Augen geschlossen, nachdem ihr Mann das Zimmer verlassen hat.
Franks Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er deutet auf das Kreuz über dem Bett und die Bilder, die es umgeben, zarte Zeichnungen biblischer Szenen. Dann auf den kleinen Weihwasserbehälter neben der
Weitere Kostenlose Bücher