Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Tür.
Frank ist einer von denen, die sich für ihre Patienten immer bestmöglich einsetzen. »Nächstenliebe« könnte man das nennen. Aber wenn jemand mit der »Kirche« oder dem »Glauben« anfängt, wird er schnell gereizt.
Um ihn nicht noch anzustacheln, schaue ich mich unbekümmert weiter um, auf einer kleinen Kommode steht eine Madonna. An einer Wand steht eine Schneiderpuppe, über der ein paar Hemden hängen, daneben eine Nähmaschine, aber sicher wurde sie länger nicht mehr benutzt, unter dem metallenen Arm liegt ein ganzer Stapel Bücher.
»Hier sind die Papiere.« Herr Meierl kommt zurück ins Schlafzimmer und hält Frank die Einweisungspapiere hin. Rote Blätter, die vor ihm in der Luft zittern.
Im Kontrast zu den wenigen dünnen, weißen Haaren auf dem Kopf des alten Mannes, die teilweise zur Seite hin abstehen, ist sein Handrücken dunkel behaart. Er trägt eine silberne Uhr mit einem Armband aus breiten Metallgliedern. Die feinen Dellen und Kratzer lassen vermuten, dass dieser Zeitmesser schon etliche Stunden angezeigt hat. Die Uhr erinnert mich an die, die mein Vater immer trägt. Und auch der goldene Ring, den er trägt, ist leicht verkratzt. Er ist tief in den Ringfinger eingewachsen, der stumme Zeuge einer Beziehung, die sich um ein ganzes Leben rankt.
Jetzt hält Frank mir das gelbe Stück Papier vor die Nase.
»Ein Ileus«, sagt er.
Also ein Darmverschluss, und – so wie die Patientin aussieht, sollten wir mal los …
»Wir holen jetzt erst einmal unsere Trage herein und dann heben wir Sie rüber«, sage ich laut zur Patientin, die wieder die Augen geöffnet hat.
Sie nickt.
Schnell laufen wir beide zum Auto. Es regnet heftig.
»Hoffentlich kommen wir mit der Trage bis ins Schlafzimmer«, sage ich. »Ist schon alles recht eng.«
Aber wir haben Glück und können die Patientin von ihrem Bett auf unsere Trage heben und sanft über die etwa acht Stufen nach unten bringen.
Frank hält seine Schreibmappe schräg vor das Gesicht der Frau, um sie vor dem Regen zu schützen, während ich die hinteren Türen des RTW s öffne. Einen Moment später ist die Frau bei uns im warmen Rettungswagen. Herr Meierl steht in der Haustür. Frank geht zu ihm hinüber, und die beiden reden kurz miteinander. Dann verschwindet Frank wieder im Haus und kommt mit einem Regenschirm zurück. Schützend hält er ihn über den alten Mann und begleitet ihn zu unserem Auto.
»Fahren Sie mit?«, frage ich den Mann, als er bei seiner Frau im Auto ist.
»Nein, ich weiß ja nicht, wie ich zurückkommen soll. Und es würde ja auch nichts ändern. Ich muss warten, bis unser Sohn da ist. Er wohnt bei Ulm, und ich hoffe, dass er kommen wird, wenn ich ihn anrufe.«
Er streicht seiner Frau über den Arm.
»Der Herr Doktor hat uns gesagt, es sieht nicht gut aus.«
Mit einem fragenden Ton schaut er Frank an.
»Wir würden Ihre Frau doch nicht mitnehmen, wenn man nicht versuchen würde, ihr dort zu helfen«, möchte Frank ihn beruhigen.
Der Mann nickt, in seinen Augen schimmern Tränen. Er tritt an die Seite der Trage, nimmt die Hand seiner Frau und drückt sie. »Ich komme sobald wie möglich zu dir«, sagt er leise. Dabei rinnt ihm eine Träne über das Gesicht. Er küsst seine Frau auf die Wange, dann lässt er sich aus dem Wagen helfen, und Frank begleitet ihn zurück in seine Wohnung.
Bis Frank zurück ist, bleibe ich bei der Patientin. Doch sie schließt wieder die Augen, will nicht reden oder angesprochen werden oder ist einfach zu schwach.
Als wir wenig später in der Klinik sind, begrüßt der aufnehmende Arzt unsere Patientin mit: »Ah ja, da ist ja die Frau Meierl.« Sein Blick überfliegt den Einweisungsschein, während er hinzufügt: »Ihr Hausarzt hat schon angerufen.«
Dann schickt er uns gleich weiter auf die Station.
Wir heben Frau Meierl noch in das Krankenbett, dann kümmert sich eine Krankenschwester um die alte Frau.
Auf dem Gang ist es still. Umso mehr erschrecken Frank und ich über die lauten Rufe aus einem Krankenzimmer, an dem wir gerade vorbeigehen und dessen Tür offen steht.
»Warum kommt denn niemand? Warum?«, ruft eine alte Frau in ihrem Bett immer wieder. »Warum lassen die mich alle allein? Kommen Sie doch bitte kurz zu mir. Bitte!«, ruft sie uns zu.
Frank schaut mich an. »Meint die uns, oder ist sie nur verwirrt?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Bitte, kommen Sie doch zu mir.« Sie winkt uns heran. »Ach, warum nimmt mich der Heiland denn nicht endlich zu sich? Warum bin ich so
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