Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Bombardierung, grün gefärbte Bilder, durch die immer wieder Lichtstreifen schießen und irgendwo zwischen Häusern blitzend aufschlagen. Dann verschwindet er kopfschüttelnd in der Küche.
»Kannst du dir vorstellen, da kostet eine einzelne Bombe mehr als einer unserer Rettungswagen«, höre ich ihn von dort rufen.
»Ja«, sage ich.
»Weltweit wird vermutlich ein Vielfaches an Geld ausgegeben, um Leute umbringen zu können, als um sie zu retten oder gesund zu erhalten. Willst du noch einen Kaffee?«
»Nein.«
»Schon verrückt, oder?«
»Ja«, antworte ich. »Die Welt ist verrückt, Hardy. Ohne diese ganze Rüstung hätten sich längst irgendwelche Wahnsinnige alles unter den Nagel gerissen, die davon überzeugt sind, dass die Regeln, an die sich alle anderen halten, für sie nicht gelten …«
»Unschuldige Kinder und Frauen umzubringen ist genauso wahnsinnig.«
»Ja, Hardy. Übrigens können auch Männer unschuldig am Krieg in ihrem Land sein.«
»Jedenfalls ist es irre, völlig abartig. Wir fahren hier wegen jedem Einzelnen raus, reanimieren jeden, der keinen eigenen Kreislauf mehr hat, und da unten – mit einem Schlag werden fünf, zehn, zwanzig Leute weggebombt.«
Über den Bildschirm flimmern dunkelgrüne Bilder mit Silhouetten von Häusern. Man wünscht sich, all diese Geschosse hätten nur irgendwelche Munitionslager getroffen, oder die Bomben wären einfach nur ins Leere gegangen, aber dann werden auch noch Zahlen eingeblendet: Bis zu »35.000 Menschenleben« könnte der Krieg gekostet haben.
Einen Moment später ist ein Pfeifen zu hören. Weil der Ton zuerst nur aus der Küche kommt, meine ich, es sei die Kaffeemaschine, aber dann pfeift auch der Piepser an meinem Gürtel: also sofort den Fernseher ausgeschaltet und zum Auto.
»Frankfurter Allee 47d, 3. Stock bei Wagner, Hypertensive Krise, Notarzt kommt verzögert nach. 15.32 Uhr.« Hypertensive Krise: ein gefährlich hoher Blutdruck. Und schon wieder ein Einsatz ganz am anderen Ende der Stadt. Hardy notiert etwas und wiederholt die Meldung, während ich auf die Hauptstraße biege. Die Adresse kenne ich, nur die Hausnummer müssen wir noch suchen.
Trotz Blaulicht und Martinshorn und obwohl ich schon Grün habe, schießt beim Überqueren der Kreuzung vor mir noch ein weißer Kleinwagen vorbei und rammt mich fast.
»Hey, spinnst du …?«, ruft Hardy, und ich meine aus dem Augenwinkel zu sehen, dass er zu mir rüberschaut.
»Ich?«
»Nein … der! Der hatte sicher schon Dunkelrot.«
Die Weiterfahrt wird nicht besser: Kaum ein Fahrzeug fährt zur Seite, jede Ampel ist auf Rot. Heute scheint mal wieder alles zugemauert zu sein. Irgendwo in der Stadtmitte rolle ich mit laufendem Horn langsam in eine Kreuzung hinein und habe noch nicht einmal die Haltelinie überquert, unvermittelt schreit Hardy: »Obacht!«
Ich stehe schon.
Von rechts kommen relativ schnell zwei Fahrzeuge, das vordere bremst ab, während das hintere auffährt.
»Oh Mist …«
Hardy nimmt den Hörer und meldet der Leitstelle: »Auffahrunfall Donaustraße, Ecke Mozartstraße.«
»Haben Sie einen Schaden am Fahrzeug?«, fragt der Disponent am Funk.
»Nein. Nur der Querverkehr. Schicken Sie hier vielleicht mal eine Streife vorbei.«
»Verstanden, Streife zur Donaustraße, Ecke Mozartstraße«, wiederholt der Leitstellenmitarbeiter.
»So ein Mist. Das war ein alter 350 SL Cabrio, schade um das schöne Auto. Und der war hinten richtig kaputt.« Hardy klingt richtig teilnahmsvoll.
Als wir endlich am Einsatz sind, ist es 15.46 Uhr. Vierzehn Minuten – das ist schon eine lange Anfahrt. Am Hauseingang erwartet uns eine junge Frau. »Sie müssen in den dritten Stock«, sagt sie. »Die Wohnungstür ist offen.«
»Okay, dann bleiben Sie bitte unten, bis die anderen Kollegen da sind«, sage ich, während wir die ersten Treppenstufen nehmen.
Herr Wagner, unser Patient, ist vielleicht Mitte sechzig. Er sitzt am Küchentisch, das Blutdruckmessgerät steht vor ihm auf dem Tisch.
Während ich unseren Koffer öffne, fragt Hardy den älteren Herrn, ob er außer seinem hohen Blutdruck noch irgendwelche anderen Beschwerden habe. Kopfschmerzen, Schwindelgefühle …?
Herr Wagner macht einen gesunden Eindruck, die Wangen leicht rosig, ein klarer Blick.
Ohne auf die Antwort zu warten, fragt Hardy auch gleich nach dem Vornamen und dem Geburtsdatum.
»Nein. Wolfgang. 15. April …«, antwortet Herr Wagner.
»Den Arm mal nicht bewegen bitte«, unterbreche ich ihn. Ich messe ihren
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