Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Zweifelsfall blöd anreden lassen, muss sich irgendetwas ausdenken und braucht ein dickes Fell.«
Ich verstehe.
Es ist ein gutes Gefühl, mit einem Notarzt unterwegs zu sein, der Intuition und ein dickes Fell hat.
Jede Sekunde zählt
E in kühler Herbstabend. Irgendwo im Hof ein Rabe, der im herabgefallenen Laub vor den Bäumen herumpickt. Als ich in seine Richtung schaue, fliegt er davon. Der Lärm eines lauten, scheppernden Motorrads, eine kraftvolle Maschine mit wenig Zylindern, soweit ich es beurteilen kann, der meinen Satz in zwei Teile schneidet, als ich die anderen begrüße, die in der Raucherecke im Hof stehen.
Dann noch mal ein lautes Pfeifen von der Hauptstraße her und ein aufheulender Motor. Es klingt nach einem Wettrennen. Obwohl ich nicht bis zur Straße sehe, habe ich vor meinem inneren Auge das Bild eines alten, mit Spoilern aufgemotzten Mittelklassewagens und eines braungebrannten Fahrers mit einem stylisch geschnittenen Bart.
»Nur zu!«, ruft Felix laut.
»… die sind immer so aufgedreht, wenn sie aus diesem Fastfood-Restaurant hinter der Wache kommen.«
» You are, what you eat «, sage ich. »Apropos, was essen wir heute noch? Habt ihr was dabei?«
»In der Wache liegen noch Gutscheine. Zwei Hamburger-Menüs zum Preis von einem.« Felix grinst.
»Wo ist eigentlich dieser Neue?«, möchte ich wissen.
»Jens? Schon beim Fahrzeugcheck«, sagt Marcia. »Unser Nordlicht – kommt aus Neustadt«, plaudert sie weiter. »›Neustadt am Rübenberge‹ … Wenn du den mit Grias di begrüßt, schaut er dich nur groß an, aber auf Guten Tach reagiert er sehr freundlich.« Marcia steht kichernd in der Tür zur Halle.
Für ein paar Sekunden der Widerschein des Blaulichts, der vor allem auf den Reflexstreifen von Marcias Dienstkleidung sichtbar wird. Auch die Blaulichter werden bei Dienstbeginn kontrolliert.
»Weiß eigentlich jemand, wo die NEF -Tagschicht steckt?« Das NEF , das ich in der Nacht fahren soll, ist mal wieder vom letzten Einsatz noch nicht zurück. Statt einer Antwort höre ich, was die Tagschicht alles an Einsätzen hatte. Ein Kind mit einem Fieberkrampf, der nicht zu durchbrechen war. Ein betrunkener Fahrradfahrer, der seine Bremse nicht fand, und als er den Berg hinunter zu schnell wurde, kurzerhand seinen Fuß in die Speichen des Vorderrads steckte. »Der hat sich nicht nur den Fuß sauber gebrochen, sondern auch eine beachtliche Kopfplatzwunde gehabt. Im hohen Bogen ist er über das Rad auf die Straße geflogen.«
Ich stelle mir die Situation vor. Mit etwas Pech hätte er auch ein Schädel-Hirn-Trauma haben können.
»Und dann wollte der Trottel auch noch weiterfahren, obwohl das Fahrrad völlig im Eimer war.« Felix lacht. »›Olé, olé, olé‹ hat er laut über die Straße gelallt und wollte, dass wir ihn ins Allgäuer Stüberl zu seinen Kumpels fahren. Er sei fit, meinte er grölend.«
»Habt ihr ihn hier ins Friedberger Krankenhaus gebracht?«
Felix schüttelt den Kopf. »Ins Klinikum, am Ende hätte ihm doch mehr gefehlt … Das Fahrrad hättest du mal sehen müssen. Und im Auto bei uns ist er dann eingeschlafen, wir dachten schon, jetzt hat er doch eine Hirnblutung. Aber die haben seine Birne im CT durchleuchtet, und offenbar fehlte ihm wirklich nicht mehr.«
Jens kommt aus der Halle. Ein drahtiger Typ, man fragt sich, wie diese kleine Kleidergröße an einem Menschen überhaupt noch so viele Falten werfen kann. Er hat einen Gesichtsausdruck, als ob er beleidigt wäre. In der Hand hält er etwas Metallenes, das zwischen einem grünlichen Papier und einer Klarsichtfolie steril eingeschweißt ist.
»Sag mal, ihr spinnt doch wohl komplett, oder?«
Roman und Felix drehen sich weg. Ein unterdrücktes Lachen. Ich versuche, mir das, was Jens in der Hand hält, näher anzusehen, aber er zeigt es zuerst Marcia, und ich kann es immer noch nicht erkennen.
»Wo hast du denn das her?« Jetzt lacht auch Marcia.
»Wir haben es ihm unter die Intubationssets in den Koffer gesteckt, wir wollten wissen, ob er wirklich alles so genau checkt, wie er tut«, sagt Roman mit einem Grinsen. »Felix hat es ihm extra schön steril eingeschweißt.«
Jetzt erkenne ich dieses metallene Etwas: ein handelsüblicher Dosenöffner.
Jens verschwindet zwischen einer Wolke aus Kraftausdrücken wieder drinnen.
»Ihr seid gemein«, sage ich.
Felix hebt den Zeigefinger bedeutungsvoll: »Jedenfalls hat er den Test bestanden.«
Als alle genug herumgealbert haben, versuche ich ein wenig
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