Schneller als der Tod
Medikamente?«, frage ich ihn.
»Nein.«
»Gut. Halten Sie durch.« »Sie können mich mal.«
Ich folge ihm auf sein Zimmer, schreibe sofort ein ganzes Arsenal von Antibiotika und Antiviralia für ihn auf und setze hinter jedes ein »Eilt!« Wobei ich denke:
Soll ich Squillante noch mal drohen? Womit und wozu?
Dann gehe ich und hole Arschmanns CT auf einen Bildschirm.
Das beruhigt irgendwie. Wenn man sich auskennt, ist es schön, ein Computertomogramm zu durchforsten. Sonst wahrscheinlich auch. Man steigt oder fällt durch die vielen hundert horizontalen Querschnitte, und die einzelnen Ovale - Brust, Lunge, Herzkammern, Aorta - dehnen sich und ziehen sich zusammen wie Strömungsbilder von unruhigem Wetter, durchqueren einander und laufen auf verschiedenen Ebenen aus. Und doch weiß man immer, wo man ist, weil es im Innern des Menschen praktisch nicht zwei Kubikzentimeter gibt, die miteinander übereinstimmen. Das stimmt sogar auf der Links-Rechts-Basis. Herz und Milz sind links, Leber und Gallenblase rechts. Die linke Lunge besteht aus zwei, die rechte aus drei Lappen. Der linke und der rechte Dickdarm sind unterschiedlich dick und nehmen einen unterschiedlichen Verlauf. Die Vene der rechten Geschlechtsdrüse läuft direkt zum Herzen, während die Vene der linken Drüse mit der Vene der linken Niere zusammenläuft. Beim Mann hängt sogar die linke Geschlechtsdrüse tiefer als die rechte, um die Scherenbewegung der Beine nicht zu stören.
Die golfballgroßen Abszesse auf Arschmanns CT sieht man sofort, einer hinter dem rechten Schlüsselbein, der andere in seiner rechten Hinterbacke. Auf den zweiten Blick meint man eine Art Flaum an den Rändern zu erkennen - einen Pilz vielleicht. Sie sehen aus, wie man es von Trinkern kennt, wenn sie das Bewusstsein verlieren und ihr Erbrochenes einatmen, das in den Lungen dann Kolonien bildet. In der Muskulatur habe ich so etwas mit ziemlicher Sicherheit noch nie gesehen.
Ich sage meinen Studenten, sie sollen gehen und die Pathologie anpiepen. Diese Leute kriegt man nur schwer aus ihren hässlichen kleinen Bunkern raus, die mit menschlichen Organen in Flaschen geschmückt sind wie die Wohnungen der Serienmörder aus dem Fernsehen, aber Arschmann braucht eine Biopsie. Ich sage ihnen, sie sollen gleich noch die Infektiologie anpiepen, da anzunehmen ist, dass sich beide Stellen nicht bei uns melden.
Und sobald sie außer Sicht sind, schließe ich den CT-Schirm auf dem Computer und google Squillantes Chirurgen, Dr. John Friendly, um mir die Scheiße, in der ich stecke, noch einmal richtig vor Augen zu führen.
Überraschung: Die Zeichen stehen gut. Mein Dr. Friendly hat die Mägen sämtlicher fettleibiger VIPs, von denen ich je gehört habe, verkleinert oder per Magenband gezügelt. Das
New York Magazine -
das es wissen sollte, da seine Hauptfunktion darin besteht, Krankheitskeime in Wartezimmern von Hand zu Hand wandern zu lassen - führt ihn unter den fünf besten Gastrochirurgen der Stadt. Friendly hat sogar ein Buch bei Amazon, das nicht allzu schlecht abschneidet:
Durchs Nadelöhr: Kochen für den operativ veränderten Verdauungstrakt.
Ich suche weiter, bis mir ein Bild bestätigt, dass es hier wirklich um den Mann geht, den ich heute Morgen kennengelernt habe, denn es ist mal wieder so ein Tag. Unterwegs finde ich weitere Lobreden. Offenbar hat Friendly gerade dem Typen einen künstlichen Darmausgang gelegt, der den Vater in
Virtual Dad
gespielt hat.
Und der dann bestimmt, wie ich jetzt, dachte: Was für eine unheimliche Erleichterung.
Ich überlege, wie erleichtert ich sein darf. Kann man Squillantes Chance, die Operation zu überleben, demnach auf fünfundsiebzig Prozent ansetzen? Wenn ja, wie wahrscheinlich ist es, dass er Wort hält und mich nicht verpfeift, wenn er durchkommt? Ich werde aus einem Zimmer angepiept, in dem ich derzeit keine Patienten habe.
Ich glotze auf die Nummer auf der Pieper-Anzeige und frage mich, ob das der neue Patient ist, von dem Akfal mir vor drei Stunden was gesagt hat. Dann schnalle ich, dass es das Zimmer von Osteosarkomgirl ist, und laufe zur Feuertreppe.
Als Erstes fällt mir beim Wiedersehen auf, dass sie zwar schön ist, dass ihre Augen aber doch nicht wie die meiner geliebten Magdalena aussehen. Dann ist es mir peinlich, dass ich so enttäuscht bin.
»Was gibt's?«, sage ich.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich bin angepiept worden.«
Sie hört auf, an ihrem Daumennagel zu kauen, und zeigt auf die Seite des Zimmers, auf der die
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