Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
zwischen seiner Kenntnis der Erfolgsgeschichte anderer Teams und seiner Prognose unserer zukünftigen Leistung her.
Unser Geisteszustand, als wir Seymour hörten, lässt sich nicht gut mit dem Hinweis auf unser »Wissen« beschreiben. Sicherlich »wussten« wir alle, dass ein Minimum von sieben Jahren und eine 40-prozentige Wahrscheinlichkeit des Scheiterns eine plausiblere Prognose für das Schicksal unseres Projekts war als die Zahlen, die wir ein paar Minuten zuvor auf unsere Zettel geschrieben hatten. Aber wir erkannten nicht an, was wir wussten. Die neue Vorhersage wirkte noch immer irreal, weil wir uns nicht vorstellen konnten, wieso es so lange dauern sollte, ein Projekt abzuschließen, das so überschaubar zu sein schien. Wir konnten nicht in eine Kristallkugel blicken, die uns die seltsame Abfolge unwahrscheinlicher Ereignisse vorausgesagt hätte, die uns bevorstanden. Alles, was wir sahen, war ein vernünftiger Plan, wonach wir in etwa zwei Jahren ein Buch produzieren sollten. Aber dieser Plan stand im Widerspruch
zu statistischen Informationen, die besagten, dass andere Teams gescheitert waren beziehungsweise unglaublich lange gebraucht hatten, um ihr Projekt abzuschließen. Wir hatten Informationen über Basisraten erhalten, aus denen wir eine kausale Geschichte hätten ableiten sollen: Wenn so viele Teams scheiterten und wenn diejenigen, die erfolgreich waren, so lange brauchten, war das Schreiben eines Curriculums zweifellos viel schwieriger, als wir gedacht hatten. Aber eine solche Schlussfolgerung hätte unserer direkten Erfahrung der guten Fortschritte, die wir gemacht hatten, widersprochen. Die statistischen Daten, die Seymour bereitstellte, wurden so behandelt, wie Basisraten normalerweise behandelt werden – zur Kenntnis genommen und ad acta gelegt.
Wir hätten an diesem Tag aufgeben sollen. Niemand von uns war bereit, sechs weitere Arbeitsjahre in ein Projekt zu investieren, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent scheitern würde. Obgleich wir gespürt haben müssen, dass ein Weitermachen nicht sinnvoll war, lieferte die Warnung keinen unmittelbar zwingenden Grund, aufzuhören. Nachdem wir ein paar Minuten halbherzig diskutiert hatten, nahmen wir uns zusammen und machten weiter, als ob nichts geschehen wäre. Das Buch wurde schließlich acht (!) Jahre später vollendet. Damals lebte ich nicht mehr in Israel und gehörte längst nicht mehr dem Team an, das die Aufgabe nach vielen unvorhergesehenen Widrigkeiten zu Ende brachte. Die anfängliche Begeisterung im Bildungsministerium für die Idee war zu dem Zeitpunkt, als das fertige Manuskript abgegeben wurde, längst verflogen.
Diese blamable Episode ist eine der lehrreichsten Erfahrungen meines Berufslebens geblieben. Ich lernte daraus schließlich drei Lektionen. Die erste war offensichtlich: Ich war auf eine Unterscheidung zwischen zwei grundverschiedenen Prognosemodellen gestoßen, die Amos und ich später als die »Innensicht« und die »Außensicht« bezeichneten. 1 Die zweite Lektion war, dass unsere anfänglichen Vorhersagen, wonach wir etwa zwei Jahre bräuchten, um das Projekt fertigzustellen, einen Planungsfehler aufwies. Unsere Schätzungen kamen einem optimalen Szenario näher als einer realistischen Beurteilung. Die dritte Lektion, die ich »irrationale Beharrlichkeit« nenne, habe ich nur langsam akzeptiert: die Unvernunft, die wir an jenem Tag zeigten, als wir das Projekt nicht aufgaben. Vor die Wahl gestellt, ließen wir lieber die Vernunft sausen, als das Unternehmen aufzugeben.
Die Verlockung der Innensicht
An jenem lange zurückliegenden Freitag gab unser Curriculum-Experte zwei Urteile über dasselbe Problem ab und gelangte zu sehr verschiedenen Antworten. 2 Die Innensicht ist diejenige, die sich alle von uns, einschließlich Seymour, spontan zu eigen machten, um die Zukunft unseres Projekts zu beurteilen. Wir konzentrierten uns auf unsere spezifischen Umstände und suchten nach Hinweisen in unseren eigenen Erfahrungen. Wir hatten einen groben Plan: Wir wussten, wie viele Kapitel wir schreiben wollten, und wir wussten, wie lange wir gebraucht hatten, um die beiden zu schreiben, die wir bereits fertiggestellt hatten. Die Vorsichtigeren unter uns schlugen vermutlich sicherheitshalber einige Monate auf ihren Schätzwert drauf.
Es war ein Fehler, einfach zu extrapolieren. Wir prognostizierten auf der Basis der Informationen, die uns vorlagen – gemäß der WYSIATI-Regel –, aber die zuerst geschriebenen Kapitel
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