Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
schließlich mehr Geld dafür.
Der ursprüngliche Nachweis einer Asymmetrie zwischen Verkaufs- und Kaufpreisen (beziehungsweise, noch überzeugender, zwischen Verkaufen und Auswählen) war sehr wichtig für die anfängliche Akzeptanz der Konzepte von Referenzpunkt und Verlustaversion. Es besteht jedoch Einvernehmen darüber, dass Referenzpunkte instabil sind, insbesondere in ungewöhnlichen Laborsituationen, und dass der Endowment-Effekt dadurch beseitigt werden kann, dass man den Referenzpunkt verändert.
Kein Endowment-Effekt wird erwartet, wenn Eigentümer ihre Güter als »Wertträger« für zukünftige Tauschgeschäfte betrachten, eine weitverbreitete Einstellung auf den üblichen Handels- und Finanzmärkten. Der Experimentalökonom John List, der das Handeln bei Baseballkarten-Tauschbören erforscht hat, stellte fest, dass Neulinge in diesem Geschäft sich nur widerwillig von ihren Karten trennten, aber dass dieser Widerwille schließlich mit zunehmender Handelserfahrung verschwand. Noch überraschender war, dass List einen starken Effekt der Handelserfahrung auf den Endowment-Effekt für neue Güter feststellte. 13
Bei einer Tauschbörse stellte List ein Schild auf, das Passanten bat, an einer kurzen Umfrage teilzunehmen, für die sie mit einem kleinen Geschenk belohnt würden: einer Kaffeetasse oder einer gleichwertigen Tafel Schokolade. Die Geschenke wurden nach dem Zufallsprinzip verteilt. Als die Teilnehmer aufbrechen wollten, sagte List zu jedem von ihnen: »Wir haben Ihnen eine Tasse [oder eine Tafel Schokolade] gegeben, aber Sie können sie gegen eine Tafel Schokolade [oder eine Tasse] eintauschen, wenn Sie wollen.« Lists Ergebnisse stimmten exakt mit den Befunden von Jack Knetschs früheren Experimenten überein: Er stellte fest, dass nur 18 Prozent der unerfahrenen Händler bereit waren, ihr Geschenk gegen das andere einzutauschen. In deutlichem Gegensatz dazu
zeigten erfahrene Händler keine Spur von einem Endowment-Effekt: 48 Prozent von ihnen tauschten! Zumindest in einem Marktumfeld, in dem Handeln die Regel war, waren sie Tauschgeschäften nicht abgeneigt.
Jack Knetsch führte auch Experimente durch, bei denen subtile Manipulationen den Endowment-Effekt zum Verschwinden brachten. 14 Teilnehmer zeigten nur dann einen Endowment-Effekt, wenn sie das Gut eine Zeit lang physisch besaßen, ehe die Möglichkeit, damit zu handeln, erwähnt wurde. Verfechter der ökonomischen Standardtheorie würden vielleicht ins Feld führen, Knetsch habe zu viel Zeit mit Psychologen verbracht, weil seine experimentelle Manipulation ein Interesse an den Variablen verrate, die Sozialpsychologen für wichtig hielten. Tatsächlich sind in der laufenden Debatte über den Endowment-Effekt deutliche Unterschiede in den methodischen Ansätzen von Experimentalökonomen und -psychologen zutage getreten. 15
Erfahrene Händler haben offenkundig gelernt, die richtige Frage zu stellen, die lautet: »Wie sehr will ich diese Tasse besitzen , im Vergleich zu anderen Dingen, die ich stattdessen haben könnte?« Dies ist die Frage, die Econs stellen, und bei dieser Frage gibt es keinen Endowment-Effekt, weil die Asymmetrie zwischen der Lust, etwas zu bekommen, und der Unlust, etwas wegzugeben, hier irrelevant ist.
Neueste Studien über die Psychologie der »Entscheidungsfindung unter Armut« deuten darauf hin, dass die Armen eine weitere Gruppe sind, bei der wir ebenfalls keinen Endowment-Effekt erwarten. In der Neuen Erwartungstheorie bedeutet Armut, unterhalb des eigenen Referenzpunktes zu leben. Es gibt Güter, die die Armen benötigen und sich nicht leisten können, sodass sie immer »in der Verlustzone« sind. Kleine Geldbeträge, die sie erhalten, werden daher als ein verminderter Verlust, nicht als Gewinn wahrgenommen. Das Geld hilft einem, ein wenig in Richtung des Referenzpunktes zu klettern, aber die Armen bleiben immer auf dem steilen Schenkel der Wertfunktion.
Menschen, die arm sind, denken wie Händler, aber die Dynamik ist eine ganz andere. 16 Anders als Händler sind die Armen nicht indifferent gegenüber den Unterschieden zwischen Gewinnen und Weggeben. Ihr Problem ist, dass sie nur zwischen Verlusten wählen können. Geld, das sie für ein Gut ausgeben, bedeutet den Verlust eines anderen Gutes, das sie stattdessen hätten kaufen können. Für die Armen sind Kosten Verluste.
Wir alle kennen Menschen, denen es wehtut, Geld auszugeben, obwohl sie, objektiv gesehen, recht wohlhabend sind. Es mag auch kulturelle
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