Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Arbeitgeber, die gegen die Regeln der Fairness verstoßen, werden mit Produktivitätseinbußen bestraft, und Einzelhändler, die eine unfaire Preispolitik betreiben, müssen mit Umsatzeinbußen rechnen. Erfuhren Konsumenten aus einem neuen Katalog, dass der Einzelhändler jetzt für ein Produkt, das sie noch vor Kurzem zu einem höheren Preis gekauft hatten, weniger verlangte, kauften in Zukunft bei diesem Anbieter 15 Prozent weniger ein, was einem durchschnittlichen Verlust von 90 Dollar pro Kunde entspricht. Die Kunden haben offensichtlich den niedrigeren Preis als den Referenzpunkt wahrgenommen und glaubten von sich, einen Verlust erlitten zu haben, indem sie mehr bezahlt hatten, als angemessen war. Zudem waren die Kunden, die am stärksten reagierten, diejenigen, die mehr und teurere Artikel kauften. Die Verluste übertrafen bei Weitem die Gewinne aus den
vermehrten Käufen, die durch die niedrigeren Preise im neuen Katalog hervorgerufen wurden.
In unfairer Weise Menschen Verluste aufzuerlegen kann riskant sein, wenn sich die Opfer revanchieren können. Zudem haben Experimente gezeigt, dass sich Fremde, die unfaires Verhalten beobachten, oftmals an der Bestrafung beteiligen. Neuroökonomen (Wissenschaftler, die die Ökonomik mit der Hirnforschung verknüpfen) haben die Gehirne von Menschen, die einen Fremden bestrafen, weil er sich unfair gegenüber einem anderen Fremden verhalten hat, mithilfe von Kernspintomografien untersucht. Bemerkenswerterweise geht altruistische Bestrafung mit einer gesteigerten Aktivität in den »Lustzentren« des Gehirns einher. 15 Es hat den Anschein, als wäre die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und der Fairnessregeln in dieser Weise ihre eigene Belohnung. Altruistische Bestrafung könnte durchaus der Kleber sein, der Gesellschaften zusammenhält. Doch unsere Gehirne sind nicht dafür ausgelegt, Großzügigkeit genauso zuverlässig zu belohnen, wie sie Geiz bestrafen. Auch hier finden wir wieder eine ausgeprägte Asymmetrie zwischen Verlusten und Gewinnen.
Der Einfluss von Verlustaversion und Ansprüchen erstreckt sich weit über den Bereich finanzieller Transaktionen hinaus. Juristen erkannten schon bald ihre Auswirkungen auf das Rechtswesen und die Rechtspflege. In einer Studie fanden David Cohen und Jack Knetsch viele Beispiele für einen deutlichen Unterschied zwischen tatsächlichen Verlusten und entgangenen Gewinnen bei gerichtlichen Entscheidungen. 16 So mag ein Einzelhändler, dessen Güter beim Transport verloren gegangen sind, für die Kosten, die ihm tatsächlich entstanden sind, entschädigt werden; für den entgangenen Gewinn dagegen wird er wahrscheinlich nicht entschädigt. Die geläufige Regel »Sei im Besitz, und du wohnst im Recht« bestätigt den moralischen Status des Referenzpunktes. In einer neueren Diskussion trägt Eyal Zamir das provokative Argument vor, dass die juristische Differenzierung zwischen Schadensersatz und Entschädigung für entgangenen Gewinn aufgrund ihrer asymmetrischen Effekte auf das individuelle Wohlergehen gerechtfertigt sei. 17 Wenn Menschen, die Vermögenseinbußen hinnehmen müssen, stärker geschädigt sind als Menschen, die lediglich keinen Gewinn erzielen, dann verdienen sie vielleicht auch einen stärkeren gesetzlichen Schutz.
Zum Thema »Verluste«
»Diese Reform wird nicht durchkommen. Diejenigen, die Gefahr laufen, zu verlieren, werden härter kämpfen als diejenigen, die gewinnen könnten.«
»Jeder von ihnen glaubt, die Zugeständnisse des jeweils anderen wären weniger schmerzlich. Sie irren sich beide. Es ist nur die Asymmetrie der Verluste.«
»Es würde ihnen leichterfallen, das Abkommen neu auszuhandeln, wenn sie erkennen würden, dass der Kuchen größer wird. Sie verteilen keine Verluste; sie verteilen Gewinne.«
»Die Mieten in dieser Gegend sind in letzter Zeit gestiegen, aber unsere Mieter halten es nicht für fair, dass wir ihre Miete erhöhen. Sie glauben einen Anspruch auf ihre gegenwärtigen Konditionen zu haben.«
»Meine Kunden nehmen mir die Preiserhöhung nicht übel, weil sie wissen, dass auch meine Kosten gestiegen sind. Sie erkennen mein Recht an, weiterhin mit Gewinn zu arbeiten.«
29. Das viergeteilte Muster
Immer wenn Sie eine globale Beurteilung eines komplexen Objektes vornehmen – eines Autos, das Sie vielleicht kaufen werden, Ihres Schwiegersohns oder einer ungewissen Situation –, gewichten Sie dessen Merkmale. Dies ist schlicht eine umständliche
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