Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Schlussfolgerungen: Menschen messen weniger dem Vermögen an sich als vielmehr Gewinnen und Verlusten einen Wert bei, und die Entscheidungsgewichte, die sie Ergebnissen zuschreiben, unterscheiden sich von Wahrscheinlichkeiten. Keine der beiden Annahmen war völlig neu, aber beide zusammen erklärten ein spezifisches Muster von Präferenzen, das wir das »viergeteilte Muster« nannten. Die Bezeichnung blieb erhalten. Die Szenarien sind unten verdeutlicht:
Abbildung 13
– Die oberste Reihe in jeder Zelle zeigt eine illustrative Gewinn-/Verlustaussicht.
– Die zweite Reihe charakterisiert die zentrale Emotion, die die Aussicht (prospect) hervorruft.
– Die dritte Reihe gibt an, wie sich die meisten Menschen verhalten, wenn sie die Wahl zwischen einer Lotterie und einem sicheren Gewinn (oder Verlust) haben, der ihrem Erwartungswert entspricht (zum Beispiel zwischen »einer 95-prozentigen Chance, 10 000 Dollar zu gewinnen« und »9500 Dollar sicher erhalten«). Entscheidungen gelten als risikoscheu, wenn die sichere Option vorgezogen wird, und als risikofreudig, wenn die Lotterie bevorzugt wird.
– Die vierte Reihe beschreibt die erwarteten Einstellungen eines Beklagten und eines Klägers, wenn sie über einen Vergleich in einem Zivilprozess verhandeln.
Das viergeteilte Muster der Präferenzen gilt als eine der zentralen Errungenschaften der Neuen Erwartungstheorie. Drei der vier Zellen waren bekannt; die vierte (oben rechts) war neu und unerwartet.
– Die obere linke Zelle war diejenige, die von Bernoulli diskutiert wurde: Menschen sind risikoscheu, wenn sie Aussichten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eines großen Gewinns erwägen. Sie sind bereit, sich mit weniger als dem Erwartungswert eines Glücksspiels zufriedenzugeben, um einen sicheren Gewinn festzuschreiben.
– Der Möglichkeitseffekt im unteren linken Feld erklärt, weshalb sich Lotterien so großer Beliebtheit erfreuen. Wenn der Hauptgewinn sehr groß ist, scheinen Loskäufer gleichgültig zu sein gegenüber der Tatsache, dass ihre Gewinnchance verschwindend gering ist. Ein Lotterielos ist das ultimative Beispiel des Möglichkeitseffekts. Ohne ein Los kann man nicht gewinnen, mit einem Los hat man eine Chance, und ob die Chance äußerst gering oder nur gering ist, spielt keine große Rolle. Selbstverständlich erwerben Menschen mit einem Los mehr als eine Gewinnchance; sie erwerben das Recht, sich Wunschträumen über einen Gewinn hinzugeben.
– Die Zelle unten rechts beschreibt die Situation, in der man sich gegen ein Risiko versichert. Menschen sind bereit, für eine Versicherung weit mehr zu zahlen, als dem Erwartungswert des Risikos entspricht – auf diese Weise decken Versicherungsgesellschaften ihre Kosten und machen ihre
Gewinne. Auch hier kaufen sich Menschen mehr als den Schutz gegen eine unwahrscheinliche Katastrophe; sie befreien sich von einer Sorge und erwerben sich eine Seelenruhe.
Die Ergebnisse für das Feld oben rechts haben uns zunächst überrascht. Wir waren es gewohnt, in Kategorien der Risikoaversion zu denken, einmal abgesehen von der Zelle links unten, wo Lotterien bevorzugt werden. Als wir unsere Entscheidungen für schlechte Optionen analysierten, erkannten wir schnell, dass wir im Feld der Verluste genauso risikofreudig waren wie im Feld der Gewinne risikoscheu. Wir waren nicht die Ersten, die Risikofreude bei negativen Gewinnaussichten beobachteten – mindestens zwei Autoren hatten darüber berichtet, aber keine weiteren Konsequenzen daraus gezogen. 8 Aber wir hatten das Glück, jetzt über einen Bezugsrahmen zu verfügen, der den Befund der Risikofreude leicht interpretierbar machte, und dies war ein Meilenstein in unserem Denken. Tatsächlich identifizierten wir zwei Ursachen für diesen Effekt.
Erstens nimmt die Empfindlichkeit ab. Der sichere Verlust ist sehr aversiv, weil die Reaktion auf einen Verlust von 900 Dollar mehr als 90 Prozent so intensiv ist wie die Reaktion auf einen Verlust von 1000 Dollar. Der zweite Faktor ist vielleicht noch stärker: Das Entscheidungsgewicht, das einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent entspricht, beträgt nur etwa 71, ist also viel niedriger als die Wahrscheinlichkeit. Das Ergebnis ist, dass man bei einer Wahl zwischen einem sicheren Verlust und einer Lotterie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eines größeren Verlusts aufgrund der abnehmenden Empfindlichkeit eine stärkere Aversion gegen den sicheren Verlust hat, während der Sicherheitseffekt die Aversion gegenüber der
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