Schnitt: Psychothriller
langsam aus dem Wagen, den Blick auf die Villa gerichtet. Kies knirscht unter seinen Schuhen. Der Geruch von Harz, nasser Erde und Tannennadeln liegt in der diesigen Luft. Für einen Moment hält Gabriel den Atem an und lauscht.
Nichts.
Nur das lautlos rotierende rote Licht der Alarmanlage über dem Hauseingang. Es sieht aus, als ob die Villa atmet.
Gabriels Blick gleitet an dem etwa fünfzehn Meter hohen Haus empor. Das Hochparterre ist mit einem verschmutzten Rauputz versehen, an dem Efeu emporwuchert, wie dicke Arme, die das Gebäude in die Tiefe ziehen wollen. Darüber beginnt das schwarze Skelett aus Fachwerkbalken, in dem Sprossenfenster sitzen, von deren Rahmen die weiÃe Farbe blättert. Die roten Dachziegel der Türmchen sind fleckig vom Moos, und von der linken Turmspitze sticht eine in der Mitte geknickte Metallstange hart in die Wolken. Im Himmel reiÃt ein fahles Loch auf, und vor dem verwaschenen Dreiviertelmond hängt ein schwarzer majestätischer Wetterhahn von der geknickten Stange, mit dem Kopf nach unten, wie tot.
Keine Menschenseele ist zu sehen. Kein weiteres Auto, kein Licht in den Fenstern. Nicht einmal der Strahl einer Taschenlampe.
Gabriel wirft einen unruhigen Blick auf das Display seines Handys.
Hoffst du immer noch, dass sie anruft, Luke? , stichelt die Stimme in seinem Kopf.
Gabriel gibt ihr keine Antwort.
Vergiss es. Sie wird es nicht tun. Und weiÃt du, warum? Weil du ihr nicht wichtig bist.
Schwachsinn. Sie ist sauer. Das ist alles.
Sauer? Nein! Wenn sie sauer wäre, würde sie anrufen und dich fertigmachen. Aber selbst dafür bist du ihr nicht wichtig genug.
Halt den Mund, verflucht!
Ich pass nur auf dich auf, Luke. Nicht mehr und nicht weniger. Das wolltest du doch immer.
Gabriel beiÃt sich auf die Lippen, stellt das Handy auf Vibrationsalarm und steckt es weg. Als würde Liz ausgerechnet jetzt anrufen! Er knipst seine Maglite-Stabtaschenlampe an und lässt den Lichtkegel über das Haus tanzen. Die Haustür ist ganz aus schwarzem Holz, im Fischgrätmuster, in der Mitte hängt ein grün angelaufener Türklopfer, ein Engelskopf. Neben der Tür ist ein fleckiges Klingelschild eingelassen, mit kursiv geprägten Buchstaben: Gill Ashton.
Mr Ashton war offenbar eine Sie.
Das Zylinderschloss der Tür scheint unbeschädigt. Gabriel streckt die Hand aus, um es auf Kratzspuren abzutasten. Als er das feuchte Metall berührt, schwingt die Tür knarzend nach innen und gibt den Blick in den Hausflur frei.
Gabriel hält den Atem an und lauscht.
Grabesstille.
Hinter ihm, auf dem Kadettenweg, fährt ein Auto vorüber. Das Geräusch der Reifen auf der nassen StraÃe zerschneidet die Stille.
Gabriel atmet tief durch und tritt leise in den Hausflur. Der Duft von wurmstichigen Balken schlägt ihm entgegen. Vor ihm liegt eine massive Holztreppe, die nach oben führt und sich in der Dunkelheit verliert. Links von ihm ist das Wohnzimmer. Gabriel richtet die Stablampe auf den Boden und erstarrt. In einer dicken Schicht aus Staub sind deutliche FuÃspuren zu sehen. FuÃspuren, die zur Rückseite der Treppe führen, wo sich vermutlich die Treppe in den Keller befindet, und Spuren, die ins Wohnzimmer führen.
Gabriels Herzschlag beschleunigt. Vorsichtig, einen Fuà vor den anderen setzend und parallel zu den FuÃspuren, betritt er das Wohnzimmer. Es riecht durchdringend nach altem Haus. Nach Geld, alten Büchern und alten Werten. Die Möbel sind mit Laken verhängt, unter denen sich die Umrisse von Sesseln, Stühlen, einem Tisch und einem Sofa abzeichnen wie Schatten eines früheren Lebens.
Am anderen Ende des Wohnraums, dort, wohin die FuÃspuren führen, ist ein breiter viktorianischer Kamin, mit einem raumhohen Abzug, der mit edlem schwarzem Marmor verkleidet ist. Auf dem Kaminsims steht eine ganze Reihe silberner Bilderrahmen. Gabriel folgt den Spuren, bis er direkt vor den Fotos steht. Eine Gänsehaut überzieht seinen Körper, als er sich die Gesichter auf den Bildern ansieht. Es sind immer dieselben Gesichter: eine Frau, etwa vierzig Jahre alt, mit tiefen Schatten unter den Augen, aber dennoch von geradezu betörender Schönheit, mit langen schwarzen Haaren, die sich um ihren Hals schmiegen, und ein sehr junger Mann, noch nicht einmal achtzehn, mit flachsblonden Haaren und dem makellosen und arroganten Blick eines Adonis.
Wie angewurzelt bleibt Gabriel vor dem Sims
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