Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
Vom Netzwerk:
angestrengtes Keuchen. Mitten im Spalt glaubt er, vom Stoff erdrückt zu werden, ein lautloser und quälender Tod, zur Strafe für das Übertreten einer verbotenen Schwelle. Dann ist er plötzlich hindurch, und der Vorhang schwingt hinter ihm zu wie eine Kerkertür – unwiderruflich geschlossen, für alle Zeit.
    Die Wände hier unten sind rot und fasrig, mit Adern dick wie Arme, wie im Inneren einer riesigen Gebärmutter, an die von außen jemand eine Lampe von ungeheurer Strahlkraft hält.
    Plötzlich überkommt ihn Panik, für immer hier unten festzusitzen. Plötzlich weiß er, dass er das Buch gefunden hat, aber es hat ihn gefangen genommen, und er kann es nicht lesen. Er tastet die Wände ab, nach einem Ausgang, aber es gibt nur dieses rote fleischige Etwas, in dem Glaskugeln verwachsen sind, groß wie Köpfe. In den Kugeln steckt etwas Leuchtendes, das von einer weißen Korona umgeben ist. Schwarze Konturen bilden sich, zappeln. Da ist sein Vater und auch seine Mutter; sie stecken in den Kugeln, er kann sie sehen, doch er versteht nicht, was sie sagen. Er geht näher heran, um mehr zu erkennen. Seine Mutter hat grüne Augen, so wie Liz, denkt er.
    Und dann sieht er, dass die Frau neben seinem Vater ganz und gar aussieht wie Liz.
    Ich muss sie aus dieser Kugel holen , denkt er, aber das Glas ist zu hart. Unten an der Kugel ist ein Knopf, und er streckt seine Hand aus, eine Kinderhand, und dreht an dem Knopf.
    Ein unerträgliches Geräusch schwillt an, es dröhnt, die Wände beben wie eine riesige Membran, die zu platzen droht, weil sie nicht Tausende von Stimmen zugleich wiedergeben kann. Beißender Gestank von verbranntem Fleisch steigt ihm in die Nase.
    Der Knopf in seinen Händen ist plötzlich ein Telefonhörer, das Spiralkabel ist durchsichtig, und es fließt Blut darin. An der Sprechmuschel klebt ein Abzug, wie an einem Revolver. Er muss den Abzug betätigen, um zu wählen, aber sooft er auch wählt, niemand nimmt ab, die Leitung ist tot, nur das nervenzerfetzende Krächzen von Vögeln ist zu hören … und das Dröhnen.
    Das Bewusstsein kriecht auf ihn zu wie ein Reptil. Er versucht, den Alptraum festzuhalten, er weiß, wie wichtig das ist. Doch die Bilder driften davon, mit dem Sog einer gewaltigen Ebbe.
    Sein Kopf brüllt vor Schmerzen. Ein scheußlicher Gestank liegt über allem; es riecht so, wie er sich fühlt.
    Die Vögel krächzen immer noch.
    Gabriel blinzelt benommen ins Licht. Um ihn herum türmen sich Müllberge, darüber schweben Krähen, kohlefarbene Flecken unter einer grauen, regenschweren Wolkendecke, die so niedrig hängt, dass sie das Dröhnen der Lastwagen auf die Deponie zurückwirft.
    Dann sieht er den Müllwagen.
    Er ist mehrere Meter über ihm, an der Kante einer Rampe. Die Hydraulik zischt, und aus der Rückseite des Wagens kippt eine Wand aus Müll direkt auf ihn zu.
    Der Adrenalinstoß lässt ihn augenblicklich wach werden. Er versucht, sich aufzurichten, aber es ist bereits zu spät. Eine tonnenschwere Lawine aus Müll walzt über ihn und reißt ihn mit sich. Der Druck nimmt ihm den Atem, und er dreht sich mehrfach um seine eigene Achse. Dann kommt die Lawine knisternd zum Stehen.
    Um ihn herum ist es schwarz. Seine Arme und Beine sind festgeklemmt.
    Du musst wühlen, denkt er. Wühl dich nach oben durch. Doch seine Hände schaffen es nicht, der Abfallberg ist zu dicht. Panisch versucht er, sich mit den Armen Platz zu verschaffen. Der tonnenschwere Müll presst ihm die letzte Luft aus den Lungen, und sein Kopf fühlt sich an, als ob er platzt. Eine klebrige, sirupartige Masse läuft über seine Brust, dann seinen Hals empor und über die Wangen.
    Empor?
    In diesem Augenblick wird ihm klar, dass er kopfüber im Müll steckt. Das Blut sackt ihm in den Kopf, und es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, bis er bewusstlos wird oder, noch schlimmer, bis der nächste Müllwagen kommt.
    Verzweifelt versucht er, mit den Beinen zu strampeln und die Hüfte hin und her zu drehen. Um seine Füße herum gibt der Müll etwas nach, offenbar ist die Schicht über ihm nicht allzu dick.
    Noch!
    Er strampelt weiter, bis er kaum mehr atmen kann. Gierig versucht er, die wenige Luft einzusaugen, die durch die schmalen Ritzen zwischen den Müllsäcken zu ihm dringt. Der Gestank von saurer Milch und verfaulten Eiresten treibt ihm Tränen

Weitere Kostenlose Bücher